Der renommierte Ökonom, Politiker und Autor, Yanis Varoufakis analysiert den Wandel der Wirtschaftssysteme und beleuchtet noch mehr: Vom Ende des Kapitalismus, der vom „Techno-Feudalismus“ droht aufgefressen zu werden bis zu Donald Trumps Handelskriegen und Europas Schräglage.
Wie der Markt verloren ging und „Techno-Feudalismus“
über Verhaltens-Modifikation neue Lehen schafft – Teil 1

Das IAI Interview: Yanis Varoufakis über Techno-Feudalismus,
die ersten 100 Tage der US-Administration und mehr
Roger Hearing: Willkommen zu „HowTheLightGetsIn!” [Londoner Festival, der u.a. Debatten mit führenden Denkern bringt]: Mein Gast heute ist Yanis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister und Autor zahlreicher interessanter Publikationen zu Veränderungen und der Zukunft der Weltwirtschaft.
Herzlich willkommen – vielen Dank, dass Sie bei uns sind!
Yanis Varoufakis: Es ist großartig, hier zu sein!
Roger Hearing: Lassen Sie mich Ihnen eine Frage auf eine etwas verschlungene Art und Weise stellen, um einen Eindruck zu gewinnen, wo Sie mit Ihrer Analyse der aktuellen Wirtschaftslage stehen: Denn zu unserer ziemlichen Überraschung argumentieren Sie…
… bezüglich der geänderten Verhältnisse [der Weltwirtschaft], dass der Kapitalismus tatsächlich zu Ende gegangen wäre!
Sie schreiben, dieser wäre vorbei und sei durch eine Form des Techno-Feudalismus ersetzt worden. Ist der Kapitalismus wirklich zu Ende gegangen? Und falls ja: Ist es nicht seltsam, dass [außer Ihnen] sonst niemand dies zu bemerken schien?
Yanis Varoufakis: Es klingt in der Tat ein bisschen absurd, eine solche Hypothese aufzustellen bzw. verbreiten zu lassen, bis man nämlich auf die eigentliche [Kern-] Hypothese stößt, welche besagt, wonach das Kapital triumphiert habe – und zwar absolut:
Es hat die organisierte Arbeiterschaft, die Bewegung der Gewerkschaften, die Sozialdemokratie und sogar den Liberalismus überrollt!
Sein Triumph war so komplett, dass es wie ein giftiger Virus zu einer neuen Form des Kapitals mutierte. Ein solches hatte es in der Geschichte der Menschheit über die letzten 20.000 Jahren noch nie gegeben. Kapital war immer [nur] verlängertes Mittel für Produktion: Das heißt, man baute einen Pflug, um etwas anderes, wie Weizen, produzieren zu lassen oder man baute eine Dampfmaschine, um Textilien herstellen oder Industrie-Roboter, um Teslas oder BYDs oder was auch immer montieren zu lassen.
Auch, was in unseren Laptops, Tablets und Smartphones steckt, ist Mittel für einen verlängerten Zweck. Es ist eine Maschine, aber sie produziert nichts…
… außer aufgrund ihrer bemerkenswert exorbitanten Fähigkeit, unser Verhalten zu modifizieren!
Das ist algorithmisches Kapital, wenn man so will: Ich nenne es Cloud-Kapital, zumal wir vermeintlich tief darin verstrickt sind. Was ich damit sagen will, ist, dass wir einer neuen Kapital-Form gegenüberstehen und ganz ähnlich jener ist, wie die für Dampfmaschinen von gestern, welche [einst] den großen Wandel vom Feudalismus zum Kapitalismus bewirkten. Wir haben letzteres [den Kapitalismus] ersetzt bzw. das still und leise zugelassen, ohne überhaupt etwas bemerkt zu haben, dass [vormalige] Märkte durch digitale Plattformen ersetzt worden waren, die [inzwischen] keine Märkte mehr sind. Sie sehen zwar wie Märkte aus, entsprechen jedoch viel eher Cloud-Lehnsherrschaften, welche den [vormaligen] kapitalistischen Profit durch eine Form von Grundrente, die natürlich keine Grundrente mehr ist, ersetzt hat. Es ist vielmehr eine Cloud-Rente: Es ist ein völlig anderes [neues] Spiel, in dem wir uns nun wiederfinden!
Roger Hearing: Lassen Sie mich diesen Gedanken zum Cloud-Kapital, wie Sie es benennen, weiterverfolgen. Sie haben mir zwar eine [gewisse] Vorstellung davon, was Sie meinen, vermittelt, aber ich möchte weiter bohren und Ihnen gegenüber nachstoßen!
Yanis Varoufakis: Gerne!
Roger Hearing: Wie würden Sie Cloud-Kapital definieren?
Yanis Varoufakis: [Das sind] Maschinen, die miteinander vernetzt und in der Lage sind, uns zu trainieren, damit wir sie trainieren, um sie [in die Lage zu versetzen] uns besser kennenzulernen [bzw. uns zu kategorisieren]. [Erst] gewinnen sie unser Vertrauen, doch sobald sie dieses gewonnen haben, ohne dass Menschen daran beteiligt waren, pflanzen sie automatisch Wünsche in unseren Verstand ein: Sobald wir diese Wünsche verspüren, übersättigen sie diese Wünsche, indem sie uns Dinge anbieten, die wir in Folge begehren: Damit umgehen sie jeden Markt!
Roger Hearing: Ein geschlossenes System?
Yanis Varoufakis: In Ordnung! Das ist kein Kapitalismus mehr: Willkommen im Techno-Feudalismus!
Roger Hearing: Okay! Lassen Sie mich über den Anteil von Feudalismus daran sprechen. Stimmt es, dass Sie damit sagen wollen, dass dabei ein [solches] Unternehmen jeden Teil des Marktes abdecken würde?
Yanis Varoufakis: Es hat oder besitzt keinen Markt:
Es besitzt ein Lehensgut: Das ist KEIN Markt!
In diesem Lehen gibt es wirtschaftliche Aktivitäten: Es gibt Käufe und Verkäufe, aber es ist keinen Markt, denken Sie nur an „amazon.com“, zum Beispiel? Ich meine, es gibt viele Millionen von Käufern, viele Millionen von Verkäufern…
… doch es gibt keinerlei Dezentralisierung!
Ich glaube, jemand wie Sie, mit Ihrer Erfahrung aus Politik und Wirtschaft und dergleichen, wird das in gewisser Weise zu schätzen wissen:
Das ähnelt – zumindest nach der [ideologischen] Ecke, aus der ich komme – dem feuchten Traum sowjetischer Wirtschaftsplaner!
Was will man damit erreichen? Man möchte den Markt durch einen Algorithmus ersetzen. Damals [in der UdSSR] benutzten sie Stift und Papier bzw. Kybernetik im „Gospel“-Ministerium, falls Sie sich an Moskau erinnern, um Produzenten und Konsumenten außerhalb des Marktkontextes zusammenzuspannen. Nun, genau das macht der Algorithmus von Jeff Bezos [Gründer von Amazon] auch: Nachdem Sie auf „amazon.com“ gelandet wären, können Sie nicht mehr wählen, wessen Waren Sie begutachten möchten. Das entscheidet der Algorithmus [für Sie].
Sollten Sie und ich Tablets [zeigleich] verwenden und beispielsweise „Elektrofahrräder“ dort eingetippt haben, würden wir unterschiedliche Anbieter erhalten: Denn, alles hängt vom Kapazitätsvermögen des Algorithmus ab, um zu prognostizieren, nachdem Bezos bestimmte Hersteller mit uns zusammengerbacht hätte, wie viel an „Mietzins“ [Cloud-Rente] Bezos maximal vom [jeweiligen] Fahrradhersteller herausschlagen könnte.
Das ist kein Markt. Jene [Feudal-Oligarchen neu] besitzen also keinen Markt:
Sie besitzen ein Cloud-Lehen – ein digitales Lehen – und sie kassieren Grundrente bzw. eine «Cloud-Rente» in Höhe von bis zu 40% des Preises des z.B. Elektrofahrrads: Das ist daher kein Markt mehr!
Roger Hearing: Verstanden! Ihre Terminologie ist in der Tat interessant, denn Sie sprechen von Feudalismus. Sie sprechen von einem Lehensgut. Sie sprechen von Pachtzinsen. Das klingt fast wie [aus den Zeiten] des Vorkapitalismus. Entspricht das wirklich dem, was Sie sagen? Kehren wir zu einer Art mittelalterlichem System zurück?
Yanis Varoufakis: Nein, wir bewegen uns auf etwas zu, was viel schlimmer ist, als das, was wir [historisch vormals schon] hatten. Und, ich sage das als linker Kritiker des Kapitalismus. Dieser endet inzwischen, heißt Techno-Feudalismus und ist viel schlimmer. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass wir zurückgingen:
Denn es gibt enorme Unterschiede zwischen dem [historischen] Feudalismus und dem, was ich Techno-Feudalismus nenne!
Jeff Bezos zum Beispiel wurde nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren. Feudalherren, der Landadel, mussten [einst] nur in die richtige Familie hineingeboren werden, um Feudalherren zu werden. Jeff Bezos ein sehr kluger Mann, ob man ihn nun mag oder nicht, ist ein Kapitalist. Er investiert(e) riesige Geldsummen in Cloud-Kapital. Die Tatsache, dass das meiste davon von der Zentralbank im Rahmen quantitativer Lockerung [QE: Ausweitung der Geldschöpfung durch Zentralbanken in Reaktion auf Finanzkrisen] kam, ist eine andere Geschichte und sollte hier nicht zur Diskussion stehen.
Es handelt sich also um ein kapitalistisches Vorhaben, aber die Form des Kapitals, die man einsetzt, resultiert in eine neue Form von Rente, die einer feudalen Grundrente zwar ähnelt, aber auf der immer gleichen alten, neu aufgewärmten Maschinerie nur beruht: Auf Kapitalgütern!
Roger Hearing: Okay! Was kann man also dagegen tun? Gibt es positive Vorschläge, um dagegen, worüber Sie sprechen, vorzugehen? Ich meine, die Verstaatlichung von Big Tech wäre sicherlich etwas, woran einige Leute denken. Ist das die Art von Maßnahmen, die Ihrer Meinung nach ergriffen werden sollten?
Yanis Varoufakis: Es gäbe viele verschiedene Varianten zu dem, was getan werden könnte. Da ich ein Linker und unverbesserlicher Marxist bin, wie Sie sicherlich irgendwann einmal unserem Publikum in Erinnerung rufen wollten, ist für mich die Lösung stets nur:
Keine Verstaatlichung, denn ich habe eine Abneigung gegen den Staat, sondern trete vielmehr für eine Sozialisierung von Apps und Algorithmen ein!
Warum sollten zum Beispiel Taxifahrer sich bei Uber anmelden und sich so viel an Wert, der dann nur auf die Cayman-Inseln verschoben würde, abnehmen lassen? Denn dort landet diese [Cloud-Miete] letztendlich, oder? Warum könnte es nicht:
- eine Genossenschaft sein, welche eine solche App nutzte?
- eine Gemeinde sein, in der wir lebten?
- eine Region sein, die eine App anstelle von Airbnb einrichten ließe?
Damit würde der Wert in der [lokalen] Gemeinschaft verbleiben? Warum könnte nicht die Gemeinschaft die Regeln dieses gemeinschaftlichen, im sozialen Besitz befindlichen Airbnb festlegen – jene Regeln, nach denen [beispielsweise] die Vermietung von Wohnungen erfolgen würde?
Das ist also – wenn Sie so wollen – meine links-sozialistisch geprägte Lösung!
Aber selbst auf einer viel niedrigeren Ebene und nehmen wir an, morgen würde das Unterhaus in diesem Land oder wer auch immer in der Europäischen Union – dort herrscht ein [wahrer] Irrgarten – …
Roger Hearing: … die Kommission.
Yanis Varoufakis: … nehmen wir an, es würde [von dort her] eine sehr einfache Regel eingeführt werden, die in unseren Zuständigkeitsbereich fiele und Interoperabilität vorschriebe. Was bedeutete das? Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben: Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber als Elon Musk durchdrehte, wollte ich X/Twitter verlassen, aber ich konnte X/Twitter nicht verlassen. Denn, ich bin ein Gefangener dort, weil ich 1,2 Millionen Follower [auf X] habe.
Roger Hearing: [Was wäre es mit] „Bluesky“ [bestehende Alternative zu X/Twitter]?
Yanis Varoufakis: Ja – dorthin bin ich gegangen, aber bei „Bluesky“ hatte ich zehn Follower – hingegen bei Twitter habe ich 1,2 Millionen. Interoperabilität würde dieses Problem lösen: Es wäre eine Auflage, gleich der, welche einst Telekommunikations-Unternehmen auferlegt wurde, die gesetzlich verpflichtet wurden, Ihnen zu erlauben, Ihre Telefonnummer von einem Unternehmen auf ein anderes übertragen zu lassen. Das wurde gemacht, um Wettbewerb zu ermöglichen.
Stellen Sie sich vor, Twitter oder X wären gezwungen, etwas, was ich auf Blue Sky posten würde, an meine Follower auf Twitter weiterleiten zu lassen. Das wäre ein erstaunlicher Durchbruch im Kampf gegen die exorbitante Macht dieser techno-feudalen Lordschaften. Man könnte alles Mögliche tun, von minimalistischen, doch wichtigen und substanziellen Gesetzen bis hin zur Sozialisierung der Kommunikationsmittel.
Roger Hearing: Aber dafür besteht in der heutigen Politik kein Interesse, das scheint klar. Ich meine, wenn man sich [EU-]Europa betrachtet oder natürlich auch Trumps Amerika, dann halten viele der Macher, die dort das Sagen haben, die Feudal-Lords – ich nehme an, mit den Baronen in Ihrem System vergleichbar – sowohl starke politische wie auch wirtschaftliche Machtpositionen inne. Es scheint wohl keine Aussicht zu bestehen, dass dies jemals geschehen könnte, oder?
Yanis Varoufakis: Oh nein! Dem würde ich niemals zustimmen: Denn, das liegt nicht in der Luft! Doch, das ist die Schönheit und Wilde an demokratischer Politik: Wir trafen uns hier, um diese Debatte zu führen. Es ist der erste Schritt, um exorbitante absolute Macht stürzen bzw. überwinden zu lassen. Die Reaktion besteht darin, zu erkennen, dass jene [Macht] existiert und man ihr unterworfen wäre: In Folge hat man zu agitieren und das tun, was wir jetzt tun, um einen demokratischen Prozess entstehen zu lassen. Darüber gilt es, heutigen Feudal-Lordschaften dieses exorbitante Privileg abzunehmen und es dorthin [rück-]übertragen zu lassen, wo es hingehört, nämlich: Zu den Vielen!
Fortsetzung mit Teil 2 folgt.
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- Das Interview im Original auf Englisch: HIER
- Zur Akrobatik atlantischer Machtpolitik Yanis Varoufakis zum „Dunklen Deal“: HIER
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