Von Oleg Issaitschenko

Der ukrainische Botschafter in Großbritannien, Waleri Saluschny, hat behauptet, dass territoriale Fragen für die Ukraine bei der Regulierung des Konflikts keinen Vorrang hätten. Wie die britische Zeitung The Daily Tehegraph schreibt, sei es in diesem Fall am wichtigsten, die Sicherheit und den Schutz des Landes zu betonen.

Freilich merkte der Diplomat an, dass die Frage dennoch auf irgendeine Weise gelöst werden müsse. „Wenn ich in meinem Haus leben würde und wüsste, dass sich mein Nachbar einen Teil meines Gartens angeeignet hat, würde ich sagen, dass wir diese Frage lösen müssen. Wenn nicht jetzt, müssen sie unsere Kinder lösen“, sagte Saluschny nach seinem Auftritt in einem der Londoner Analysezentren.

Nach Meinung der Journalisten des Daily Telegraph zeuge diese Äußerung von einer Änderung der Rhetorik Kiews, das bislang auf einer Rückkehr sämtlicher verlorener Gebiete bestanden hat. Die Publikation behauptet weiter, dass ukrainische Militärangehörige wegen der großen Verluste und der Schwierigkeit, einen Sieg zu erringen, den Wunsch nach einem schnellstmöglichen Ende des Konflikts äußern würden. Indessen seien westliche Beamte laut Äußerungen von mit der Angelegenheit vertrauten Personen an einer Verlängerung der Kampfhandlungen interessiert, weil sie mit einer Schwächung der russischen Positionen bis 2025/2026 rechneten.

Bemerkenswerterweise hat Wladimir Selenskij noch vor wenigen Tagen, als er seinen sogenannten „Siegesplan“ in der Rada präsentierte, von der Unzulässigkeit jeglicher territorialer Zugeständnisse gesprochen. „Es geht hier nicht ums Einfrieren. Es geht hier nicht um einen Handel mit dem Territorium oder der Souveränität der Ukraine. Wir müssen den Plan umsetzen“, betonte er damals.

Nach Ansicht von Experten hat Saluschny seine Äußerung indes nicht zufällig getätigt. In vielerlei Hinsicht kam sie aufgrund der Ablehnung von Selenskij Plan seitens des Westens. Im Übrigen fand das Dokument des Präsidenten tatsächlich keine Unterstützung: Wie eine Analyse der westlichen Medien durch die Zeitung Wsgljad ergab, bestand der Grundgedanke der meisten Publikationen darin, dass das vorgeschlagene Dokument „von der Realität ebenso weit entfernt ist wie die Ukraine vom Sieg.“ Und während Selenskij anschließend zu nuklearen Drohungen überging, wählte Saluschny einen anderen Weg.

„Saluschnys Worte klingen sehr dehnbar. Auf jeden Fall sehen wir hier, wie ein Botschafter der Ukraine einräumt, dass Verhandlungen mit Russland trotz allem geführt werden müssen. Das ist besonders bemerkenswert, wenn man die jüngste Erinnerung des russischen Präsidenten Wladimir Putin daran bedenkt, dass ausgerechnet Kiew sich selbst verboten hat, einen Dialog mit Moskau zu führen“, sagt der Politologe Wladimir Kornilow.

Der Experte verweist außerdem auf die Tatsache, dass dies nicht die einzige Publikation der letzten Tage sei, in der der ehemalige Oberbefehlshaber des ukrainischen Militärs erscheine. „In der Druckversion von The Sunday Times heißt es direkt, dass alle Probleme der Ukraine begonnen hätten, nachdem Selenskij den beliebten Militärbefehlshaber entlassen habe. Und ebenda wird angemerkt, dass sich einfache Ukrainer die Frage stellen würden, ob Selenskij ein geeigneter Kandidat für die Führung des Landes sei“, zitiert der Analytiker.

„All das zeugt davon, dass zumindest Großbritannien nach Kenntnisnahme des wahnsinnigen ‚Siegesplans‘ verstanden hat, dass man es mit einem Menschen zu tun hat, der jeglichen Realitätsbezug verloren hat. Nun beginnt London allem Anschein nach die Umsetzung des Plans ‚Nachfolger‘, um eine geeignetere Kandidatur für Selenskijs Position zu finden“, führt Kornilow aus.

Seiner Ansicht nach sei es kein Zufall, dass Saluschny auf die politische Bühne gebracht wurde, gleich nachdem der „Siegesplan“ gescheitert und das Treffen in Ramstein abgesagt worden war. „Wir alle wissen, wie Biden seine Absage, nach Deutschland zu kommen, gerechtfertigt hat. Allerdings hat ihn das nicht daran gehindert, bald darauf die Bundesrepublik zu besuchen und sich dort mit europäischen Politikern zu treffen. Bemerkenswerterweise wurde Selenskij zu dieser Veranstaltung nicht eingeladen. Das zeugt davon, dass sich die westlichen Staatschefs einig sind, dass mit Selenskij etwas getan werden muss“, vermutet Kornilow.

Eine andere Ansicht vertritt die Politologin Larissa Schessler. „Selenskijs frühere Äußerungen über die Unzulässigkeit von territorialen Zugeständnissen und Saluschnys Worte über deren Möglichkeit sind Teile derselben Politik“, meint sie.

„Erst versucht Selenskij, seine westlichen Partner unter Druck zu setzen, indem er sie aufruft, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, auf dem Gebiet des Landes Waffen zu stationieren und am militärischen Konflikt aktiver teilzunehmen. Und dann, als die fehlende Unterstützung für diese Ideen offensichtlich wird, kommt Saluschnys Vorschlag“, führt die Expertin aus.

Nach Ansicht der Analytikerin verstehe das gesamte ukrainische Militär, angefangen von den Soldaten bis hin zur obersten Führung, dass es eine Niederlage erleide. „Der Ausgang der Kampfhandlungen ist bereits vorherbestimmt. Natürlich rechnet Kiew damit, dass ein Einfrieren des Konflikts es erlauben wird, gewisse Territorien unter Kontrolle und die Führung über die Ukraine zu behalten“, vermutet sie.

Mit anderen Worten, laut der Politologin ist Saluschnys Mutmaßung nichts anderes als die Rückkehr zu dem alten Plan über einen vorübergehenden Waffenstillstand oder ein Einfrieren des Konflikts entlang der aktuellen Frontlinien. „Der Westen ist zu allem bereit, um Russland so viel wie möglich zu schaden. Und die Idee eines Einfrierens des Konflikts zusätzlich zu einem weiteren Aufpumpen der Ukraine mit allen möglichen Waffen deckt sich durchaus mit dieser Logik“, erklärt Schessler.

„Saluschnys Phrase, wenn der Nachbar einen Teil des Gartens besetze, dann müsse die Frage gelöst werden, ist ein weiterer Beleg dafür. Kiew hat nicht vor, auf seine Ziele zur Rückeroberung der Krim, des Donbass und Neurusslands zu verzichten. Und Russland darf das nicht vergessen“, schlussfolgert sie.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei „Wsgljad“ am 20. Oktober.

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