Ein revolutionärer Durchbruch in der Kernstoff-Forschung dürfte nun russischen Wissenschaftlern gelungen sein.
Rosatom als Weltmarktführer in der Kernenergie scheint vor der Lösung des Atommüll-Problems zustehen.
Demonstration russischer Nuklearforschung
Mit dem Bau des ersten geschlossenen Kernbrennstoffkreislaufs, in dem nachgereicherte nukleare Abfälle vollständig zur erneuten Energiegewinnung genutzt werden können, hat Russland nunmehr offenbar einen Meilenstein in der Nuklearforschung gesetzt.
Anfang Oktober hatte in Moskau anlässlich des 80. Jubiläums der russischen Atomindustrie die World Atomic Week (WAW) stattgefunden. Dieses gilt als das größte internationale Forum der Kernenergie-Branche, wie auch der benachbarten Branchen. Die WAW hatte den Besuchern aus aller Welt eine hervorragende Plattform für die Demonstration der Errungenschaften in der Nuklearforschung geboten und zum Austausch eingeladen.
Es waren dort etwa die neuesten Entwicklungen im Bereich der Nuklearmedizin wie auch der Radiopharmakologie präsentiert, sowie Diskussionsrunden zum Thema nuklearer Forschung abgehalten worden. Insgesamt hatten an den zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen der WAW mehr als 20.000 Besucher aus über 100 Ländern teilgenommen, darunter hochrangige Politiker, Vertreter großer Unternehmen sowie Medien, Wissenschaftler, Ingenieure und Studenten.
Offiziell eröffnet wurde die World Atomic Week vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zur Eröffnung geladen waren mehrere Staats- und Regierungschefs, der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Rafael Grossi sowie diverse hochrangige Vertreter der russischen Kernenergie-Branche. Gemeinsam hatte man aktuelle Fragen der friedlichen Nutzung von Atomkraft erörtert, dabei waren insbesondere die technologischen Errungenschaften der russischen Atomindustrie vor dem Hintergrund der Ausschöpfung der weltweiten Uranvorkommen hervorgehoben worden. Putin hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach Schätzungen der OECD alle Uranressourcen, rund acht Millionen Tonnen, im besten Fall „bis 2090 vollständig erschöpft sein werden”. In der Praxis könnte dies jedoch bereits in den 2060er Jahren der Fall sein, so der russische Staatschef.
Uranvorkommen mit „Ablaufdatum“
Die begrenzte Menge von Uran gehört unbestreitbar zu den wichtigsten Herausforderungen für die weltweite Nutzung der Kernenergie. Allerdings könnte dieses Problem durch ein ambitioniertes Mega-Projekt der russischen Atomindustrie schon in den kommenden Jahrzehnten erfolgreich gemeistert werden.
Dazu hatte Putin ausgeführt, „angesichts der Tatsache, dass ein Viertel der Uranreserven sich in Lagerstätten befindet, wo Uran nur ein Nebenprodukt ist, planen wir bis 2030 – hier komme ich zu dem, worauf Russland meiner Meinung nach wirklich stolz sein kann –, in der Region Tomsk das weltweit erste Kernkraftwerk mit einem geschlossenen Brennstoffkreislauf in Betrieb zu nehmen. Was bedeutet das? Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine revolutionäre Entwicklung, die von unseren Wissenschaftlern und Ingenieuren ermöglicht wurde. Was bedeutet das in der Praxis? Das bedeutet, dass 95 Prozent des abgebrannten Kernbrennstoffs mehr als einmal in Reaktoren wiederverwendet werden. Dieser Mechanismus wird es langfristig ermöglichen, das Problem der radioaktiven Abfälle praktisch zu beseitigen und, was ebenfalls äußerst wichtig ist, das Problem der Uranversorgung im Wesentlichen zu beseitigen.”
„Neuer Reaktor-Typ“
Ohne Frage handelt es sich bei dem geschlossenen Kernbrennstoffkreislauf um eine revolutionäre Entwicklung in der Nukleartechnik, die sowohl das Problem des Atommülls größtenteils lösen als auch die gesamte Nutzung der friedlichen Kernenergie revolutionieren könnte. Der geschlossene Brennstoffkreislauf ist ein nachhaltiges System, bei dem abgebrannter Kernbrennstoff wiederaufbereitet wird, im Gegensatz zu einem offenen Brennstoffkreislauf, bei dem abgebrannter Brennstoff direkt entsorgt wird, um wiederverwendbare Materialien wie Plutonium zurückzugewinnen und sie anschließend als neuen Brennstoff einzusetzen. Der anfallende radioaktive Abfall, der nicht mehr wiederaufbereitet werden kann, soll dank dieser Technologie minimal sein.
Bei der Realisierung dieses neuen Konzepts gelangen Russland in den vergangenen Jahren diverse Schlüsselerfolge. Nach Angaben des russischen Staatskonzerns Rosatom sollen sowohl die Technologie als auch der Reaktor in Bezug auf ihre Sicherheit und das Potenzial bereits unzählige Male auf Herz und Nieren überprüft und erfolgreich getestet worden sein. Unter anderem war dies im Rahmen eines einjährigen Testlaufs in einer Atomanlage am Ural 2023 erfolgreich geschehen. Das Revolutionäre an diesem Testlauf ist, dass ein industrieller Reaktor ein ganzes Jahr lang mit wiederaufbereiteten Brennelementen und damit quasi Nuklearabfällen betrieben worden war und dabei planmäßig 800 Megawatt generieren konnte. Diese Energie wurde anschließend in das öffentliche Stromnetz eingespeist, was laut Rosatom verdeutlicht, dass die Technologie voll einsatzfähig und für den kommerziellen Nutzen bereit ist.
Reaktor bis 2030 realisiert
Ausgehend davon plant man, bis zum Jahr 2030 zum ersten Mal in der Geschichte einen funktionierenden geschlossenen Kernbrennstoffkreislauf zu demonstrieren. Geschehen soll dies im experimentellen Atomkomplex Sewersk in der westsibirischen Region Tomsk, der dafür allerdings noch ausgebaut werden muss. Gemäß den Eigenschaften der neuen Technologie sollen in Sewersk unter anderem ein Reaktor und eine Anlage zur Wiederaufbereitung respektive Wiederverwendung von atomaren Abfällen entstehen. Ein Modul zur Herstellung von Kernbrennstoff ist dort bereits vorhanden und wurde der Öffentlichkeit bereits vorgestellt.
Das Herzstück dieses Komplexes soll der hochmoderne Kernreaktor „Brest-od-300“ bilden, der mit einer Uran-Plutonium-Oxid-Mischung betrieben wird und eine Leistung von 300 Megawatt erreicht. Konkret handelt es sich bei dem OD-300 um einen sogenannten Brutreaktor, in dem die Spaltung von Uran durch schnelle sowie besonders energiereiche Neutronen erreicht wird. Bei diesem Spaltprozess wird allerdings nicht das herkömmliche Uranisotop 235 verwendet, dessen Vorkommen übrigens extrem begrenzt sind, sondern das schwer spaltbare Isotop Uran-238, das mehr als 99 Prozent des in der Welt geförderten Urans ausmacht. Dieses Isotop wird zu Plutonium-239 zerlegt, das wiederum mehrfach gespalten und als Brennmaterial zum Einsatz kommen kann, bis seine gefährlichen radioaktiven Substanzen (Radionuklide) „verbrannt” sind. Wobei man dann eben von einem geschlossenen Brennstoffkreislauf sprechen kann.
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