Von Wladislaw Sankin

Seit der Gründung des Aktionsbündnisses „Zukunft Donbass“ e. V. vor mehr als acht Jahren ist es zur Routine geworden: Die beiden Gründerinnen des Hilfsvereins Raissa und Iwana Steinigk bereiten zu dieser Jahreszeit einen Weihnachtstransport vor. Ein Sattelschlepper mit bis zu 18 Tonnen Ladung bringt Anfang Dezember humanitäre Güter, Medizinbedarf und Geschenke, vor allem für die Kinder, in den Donbass. Der Lkw fährt über mehrere Landesgrenzen während seines Umweges in den äußersten Osten der Ukraine – genaugenommen in jenen Teil des Landes, der sich seit dem Maidan-Putsch 2014 von Kiew losgelöst hat und den Russland seit den Referenden im Oktober 2022 als sein eigenes Territorium betrachtet. 

Damit besitzt „Zukunft Donbass“ ein Alleinstellungsmerkmal. Niemand sonst aus Deutschland hat bis dato offenkundig überhaupt etwas in das „Separatisten-Gebiet“ geschickt. Für das offizielle Berlin, das seit dem nationalistischen Staatsstreich „felsenfest“ an der Seite Kiews steht, war und ist es ein absolutes No-Go. Große Wohltätigkeitsverbände wie Caritas verweigerten jegliche Aktivität, obwohl Hilfslieferungen in den Donbass nicht verboten waren. Nach ihrem ersten Besuch in den kriegsgeschädigten Gebieten im Jahr 2015 haben Mutter und Tochter Steinigk beschlossen, auf eigene Faust genau dorthin adressierte Hilfstransporte aus ihrer Region um Rula in Thüringen zu organisieren. Am 2. Dezember soll nun der 45. Transport auf die Reise gehen und die Spendensammlung ist noch nicht abgeschlossen. 

„Zukunft Donbass“ kann sich begründet als größter ausländischer Wohltätigkeitsverein bezeichnen, der einer russischen Region hilft: Das russische Recht sieht nur in äußersten Ausnahmefällen humanitäre Hilfe aus dem Ausland vor und entsprechende Regelungen sind zudem hoffnungslos veraltet. Umso mehr trifft die Bezeichnung zu, wenn die Hilfe aus einem sogenannten „unfreundlichen“ Staat wie Deutschland kommt. Mehr als ein Jahr hat der deutsche Verein dafür gebraucht, um die strengen russischen Einfuhrvorschriften so aufzuweichen, dass reibungslose Abwicklungen funktionieren.  

Das sei äußerst nervenaufreibend gewesen und habe zusätzliche Besuche in Moskau, Donezk und Lugansk bedurft, macht Raissa Steinigk im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen deutlich. Es habe zahlreiche Verhandlungen mit Ministerien, Zollen und Partnervereinen gegeben – zu viele Tücken hat der Übergang der beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk zum russischen Recht beinhaltet. Dabei war die Hilfe mehr denn je nötig, denn der Beschuss der zivilen Gebiete im Zuge des seit Jahren andauernden Krieges hält an. Nach wie vor gibt es Not, Leid und Zerstörung – und große Freude bei vielen Hilfsempfängern, wenn ihre deutschen Freunde sich wieder melden. 

Die Bedürftigen sind Waisen, Rentner, kinderreiche Familien, Menschen mit Behinderung oder Kriegsgeschädigte. „Zukunft Donbass“ dokumentiert die Empfänge seiner Hilfsgüter mit Danksagungen auf Videos, wodurch zwischen den deutschen Spendern und den Hilfeempfängern im Krisengebiet eine emotionale Bindung entsteht. 

Die Geschichte von „Zukunft Donbass“ klingt wie ein Märchen in düsteren Zeiten. Die organisatorische Last liegt nach wie vor größtenteils auf den Schultern von Raissa und Iwana Steinigk, aber ohne einen immer größer werdenden Kreis aus Mitstreitern hätten sie all die Hürden, die ihnen das deutsche Sanktionsregime und die russische Bürokratie bereitet haben, nicht überwinden können. 

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Auch im Raum Berlin gibt es inzwischen engagierte Helfer. Einer von ihnen ist Matthias Hellwig. Er räumt ein, dass der Hilfsverein im Kern eine ostdeutsche Angelegenheit ist, als gebürtiger Westberliner sei er dort eher die Ausnahme. In der Positionierung zum Ukraine-Konflikt spiele es eine große Rolle, ob man west- oder ostsozialisiert sei. Für ihn ist die Mitgliedschaft in dem Verein zu einer sinnstiftenden Aufgabe geworden. Bei einem öffentlichen Treffen mit den beiden Gründerinnen in Berlin sagte er:

„Diese humanitäre Hilfe ist das Fundament, die Basis des Vereines. Es ist das, was aus meiner Sicht nicht nur denjenigen zugute kommt, die die Hilfe erhalten, sondern auch denen, die sie leisten: die Gewissheit zu erhalten, etwas zu bewegen, Veränderngen zu bewirken. Sie sehen ja die sichtbare Umgestaltung von Küchen, Schulen, Krankenhäusern, um nur einige Beispiele zu nennen“.

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Es sei sein erster öffentlicher Auftritt gewesen, räumte Hellwig später im Gespräch ein. Es war ihm auch wichtig mitzuteilen, warum der Ukraine-Konflikt ihn so bewegt. Ihn habe der Umstand beschäftigt, wie zwischen zwei Völkern, die über Jahrhunderte miteinander gelebt und zwischen denen sich familiäre Beziehungen aufgebaut hätten, eine solche Konfliktsituation entstehen konnte.

In Berlin habe er ein Zwischenlager für Hilfsgüter aus der Region organisiert und damit begonnen, gut erhaltene Medizinwaren zu akquirieren – mit ersten Erfolgen. So seien schon die ersten nur leicht gebrauchten Gehhilfen aus einem Sanitätshaus im Gespräch, erzählt er. Obwohl Hellwig einen langen beruflichen Weg im kaufmännischen Bereich hinter sich hat und bald in die Frührente geht, war er sichtlich stolz auf die ersten Schenkungszusagen – in seinem neuen Engagement ist er noch „Berufsanfänger“.  

Während er sprach, platzte ein Mann im Blaumann und mit großer Tüte in den Raum herein und eilte zur Bühne. Es handelte sich dabei um Marko Klicks, der Modellbausätze und eine Geldspende Iwana persönlich übergab. Er habe auch helfen wollen und sich an Alexander von Bismarck gewandt. Dieser habe ihm „Zukunft Donbass“ empfohlen, erzählte Hellwig später. So entstehen Kontakte und kleine Netzwerke von Menschen, die nicht gleichgültig sind und in schwierigen Zeiten nicht untätig bleiben wollen. 

Unter ihnen auch Simon, der in einer russlanddeutschen Familie aufgewachsen ist. Seit 2018 ist er dabei und überweist regelmäßig größere Summen. Für den achten Weihnachtstransport hat er sechzig Kilogramm Gummibärchen nach Rula in das Sammellager geschickt. „Er hat eine kleine Tochter, und er möchte, schreibt er mir, einige fremde und unbekannte Kinder im Donbass glücklich machen“, erzählt mir Raissa. Sie freue sich, dass sie durch ihre neue Berufung solche Menschen wie Simon kennenlernen durfte. „Sehen Sie, Simon konnte es egal sein, aber er rief an und fing an zu fragen. So ist das! Ohne Lärm und PR lernen wir so wunderbare ‚unsere Deutschen‘ kennen“, betonte sie. 

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