Die Verzweiflung des „Wertewestens” über den Verlauf des Ukrainekriegs wird von Tag zu Tag größer. Zwar sind die russischen Erfolge im laufenden Jahr hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Von FRANZ FERDINAND | Das russische Verteidigungsministerium spricht von 4.700 km² erobertem Gebiet im Jahr 2025, was angesichts der Größe der Ukraine wenig ist. Dennoch erzielt die russische Armee kontinuierlich Erfolge und hat vor allem fast überall die Initiative.

Die Gründe für die langsamen Fortschritte der russischen Armee sind wahrscheinlich in einer falschen Erwartungshaltung zu suchen. Der Ukrainekrieg hat sich zu einer völlig neuartigen Form des Krieges entwickelt und änderte sich in seinem Verlauf ständig. Der Grund hierfür ist der immer dominanter werdende Einsatz von Drohnen auf beiden Seiten. Dieser Krieg entwickelte sich zu einem Technologiewettlauf in der Drohnenkonstruktion, bei dem die russische Seite wegen ihres größeren Potentials qualitativ als auch quantitativ immer die Nase vorne hat.

Der Drohneneinsatz führt dazu, dass ein Vorrücken der Truppe auch mit gepanzerten Fahrzeugen in großer Anzahl nicht machbar. Somit ist der Bewegungskrieg, wie er bisher die Regel war, unmöglich. Fortschritte kann man nur mehr mit kleinen Trupps erzielen, die sich in der langen Front einfach Löcher in der gegnerischen Verteidigung aussuchen, um vorzudringen. Jede andere Taktik wäre selbstmörderisch.

Es ist ein reiner Abnutzungskrieg, bei dem die Ukraine trotz westlicher Unterstützung langsam aber sicher den Kürzeren zieht. Verzweifelt wird nach irgendwelchen „Gamechangern“ gesucht, so wie dereinst im Dritten Reich durch eine „Wunderwaffe“, um das Blatt doch noch für die Ukraine zu wenden. Hin und wieder gelingen auch der ukrainischen Armee spektakuläre Erfolge, wie unlängst die Angriffe auf die russische Ölinfrastruktur zeigten. Trotzdem bleiben solche Erfolge Eintagsfliegen und können nicht ad Infinitum in die Zukunft projiziert werden, was aber für die westlichen Kommentatoren der berühmte Strohhalm ist, an den sie sich klammern.

Ein weiterer Hoffnungsschimmer für die Ukraine war der scheinbare Meinungsumschwung bei Donald Trump, der plötzlich davon sprach, dass die Ukraine diesen Krieg doch noch gewinnen könne, wenn nur die EU von den USA genügend Waffen kaufen und diese der Ukraine einfach schenken würde. Leider liefern die amerikanischen Rüstungsfirmen Waffen nicht für frisch gedruckte Euros aus der EZB-Geldpresse, sondern für Dollars, die man erst wieder durch Exporte verdienen muss. Allerdings ist Donald Trump der Letzte, der der europäischen Industrie viel verdienen lassen will, wie seine Zollpolitik gerade zeigt.

Somit waren diese Erklärungen Trumps nur Schall und Rauch, mit der er offenbar die festgefahrenen „Friedensgespräche“ wieder beleben wollte, in dem er diesmal Putin mit einer derartigen Ankündigungsrhetorik unter Druck setzen wollte.

Neu in diesem Zusammenhang war die plötzliche Erklärung Trumps, dass man der Ukraine auch Tomahawk-Marschflugkörper liefern könnte, mit der die Ukraine Ziele Tief in Russland angreifen könnte.

In dem amerikanischen Portal „Responsiblestatecraft“ brachte einen Beitrag mit dem Titel:

„Russia likely laughing off Trump’s ‚open door‘ to Tomahawks. The idea that the US would send this advanced weapon system to Ukraine is not serious. So why are we talking about it?“
(Übersetzung: „Russland lacht wahrscheinlich über Trumps ‚offene Tür‘ für Tomahawks. Die Vorstellung, dass die USA dieses hochmoderne Waffensystem in die Ukraine schicken würden, ist nicht ernst zu nehmen. Warum reden wir also darüber?“) 

Die wesentlichsten Argumente gegen eine Lieferung der Tomahawks an die Ukraine sind wie folgt:

  • Die Ukraine hat nicht die Fähigkeiten, Tomahawk-Raketen abzufeuern, und die US-Bestände an diesen Waffen und ihren Trägersystemen sind viel zu gering und viel zu wertvoll, als dass das Pentagon einer Abgabe zustimmen würde.
  • Tomahawk-Raketen können auf drei Arten abgefeuert werden: von einem Lenkwaffenzerstörer, von U-Booten der Ohio-, Virginia- und Los-Angeles-Klasse sowie mit dem neuen bodengestützten Typhon-System, das von der US-Armee entwickelt wurde. Die Ukraine verfügt über keine dieser Fähigkeiten und hat so gut wie keine Chance, sie kurz- oder mittelfristig zu beschaffen.
  • Die ukrainische Marine ist für die Startsysteme zu klein und verfügt weder über Überwasserkampfschiffe noch über Angriffs-U-Boote und das Personal, um beides zu betreiben. Angesichts des angespannten US-Schiffs- und U-Boot-Baus ist es unwahrscheinlich, dass Washington einen Verkauf dieser Plattformen an die Ukraine in Erwägung ziehen würde.
  • Die Ukraine hat möglicherweise das nötige Personal für den Betrieb des neuen bodengestützten Typhon-Systems, doch ist es ebenso unwahrscheinlich, dass das Pentagon dem Verkauf dieser neuen Hardware an die Ukraine zustimmen würde. Die USA verfügen lediglich über zwei funktionsfähige Typhon-Batterien, eine dritte ist in Planung. Zwei dieser Systeme sind für den Einsatz in Asien vorgesehen, eines für eine mögliche Stationierung in Deutschland. Die USA haben sich – teils aufgrund der Knappheit, teils aufgrund der Sensibilität der Technologie – bisher nicht bereit erklärt, das fortschrittliche System an einen Verbündeten oder Partner zu verkaufen, und es ist schwer vorstellbar, dass die Ukraine die erste ist.
  • Wenn die USA der Ukraine ein Typhon-System anbieten sollten, würde es auf dem Schlachtfeld des Landes nicht lange überleben. Die Typhon-Batterie ist riesig und schwer zu bewegen. Für den Transport über weite Strecken ist eine C-17 erforderlich. Obwohl sie straßenmobil ist, ist sie aufgrund ihrer Größe leicht per Satellit oder sogar per Überwachungsdrohne zu erkennen. Mit anderen Worten: Sie wäre ein attraktives und anfälliges Ziel für russische Luftangriffe.
  • Ohne die Möglichkeit, die Raketen abzufeuern, wäre es sinnlos, der Ukraine Tomahawks zu geben oder zu verkaufen. Doch es gibt weitere Gründe, die bezweifeln lassen, dass die USA dies in Erwägung ziehen würden. Erstens sind die Raketen selbst knapp und ihre Produktion dauert zwei Jahre. Angesichts eines geschätzten Gesamtbestands der USA von unter 4.000 Raketen und der Verschwendung mehrerer Hundert in einem sinnlosen Feldzug gegen die Huthis im Roten Meer wird das Pentagon skeptisch sein, sich von der wertvollen Munition zu trennen, insbesondere in den Mengen, die die Ukraine benötigt, um strategische Erfolge zu erzielen.

Dies gilt insbesondere angesichts der entscheidenden Rolle, die die Rakete in jedem Pazifikkrieg spielen wird, und der Tatsache, dass in den meisten Jahren weniger als 200 Stück produziert werden.

Zweitens haben die USA die Rakete bisher nur an enge Verbündete verkauft: Australien, Großbritannien, Dänemark und Japan. Nicht einmal Israel durfte bisher Tomahawk-Raketen kaufen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die USA bereit wären, die Waffe und ihre sensible Technologie mit den Ukrainern zu teilen, insbesondere angesichts des Risikos, dass die Rakete oder ihre Überreste in russische Hände fallen könnten.

Schließlich ist da noch die Frage einer Eskalation, die Trump und sein nationales Sicherheitsteam weiterhin aufmerksam verfolgen. Die Ukraine mit der Fähigkeit auszustatten, tief im Inneren Russlands zuzuschlagen, birgt ein enormes Risiko, insbesondere da der Einsatz dieser Raketen US-amerikanische Geheimdienst- und Zielunterstützung erfordern würde. Sollte Moskau eine reale Bedrohung für Ziele des Regimes oder Teile seiner nuklearen Infrastruktur sehen, könnte das Potenzial einer nuklearen Eskalation inakzeptabel hoch werden.

Trotz seiner zunehmenden Frustration über Putin hat Trump keinerlei Interesse an einem derartigen Ausgang oder an US-Aktionen signalisiert, die Putin weiter vom Verhandlungstisch drängen könnten.

Diese Einschätzung wird offensichtlich auch von der russischen Führung geteilt, die sich mit Reaktion auf den neuesten Trump-Schwindel auffällig zurückhält, um ja nicht unnötig Öl ins Feuer zu gießen.

   ***

Siehe dazu auch unseren Artikel von vorgestern:

Nächste Eskalationsstufe: USA prüfen Tomahawk-Lieferung an Kiew



UNSER MITTELEUROPA erscheint ohne lästige und automatisierte Werbung innerhalb der Artikel, die teilweise das Lesen erschwert. Falls Sie das zu schätzen wissen, sind wir für eine Unterstützung unseres Projektes dankbar. Details zu Spenden (PayPal oder Banküberweisung) hier.



 

 

Abbildung des Banners Denkanstoß statt Denkverbot
Nach oben scrollen