Der Ukraine fehlen die Mittel, um auf dem Schlachtfeld die Oberhand über Russland zu gewinnen, und sie wird „den Krieg verlieren“, wenn die Situation so weitergeht wie bisher. Das sagte der ehemalige ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba der Financial Times. Er kritisierte, dass US-Präsident Joe Biden zu viel Angst vor einem Atomkrieg habe, um Kiew die Waffen zu geben, die es für einen Sieg bräuchte.

„Haben wir heute die Mittel und Werkzeuge, um den Spieß umzudrehen und den Lauf der Dinge zu ändern? Nein, haben wir nicht“, sagte Kuleba in dem am Freitag veröffentlichten Interview mit der britischen Zeitung und fügte hinzu: „Wenn es so weitergeht, werden wir den Krieg verlieren.“

Kulebas Äußerungen erfolgten, nachdem die USA, Großbritannien und Frankreich der Ukraine die Erlaubnis erteilt hatten, weitreichende Waffen gegen international anerkanntes russisches Territorium einzusetzen. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte, dies sei zwar extrem eskalierend, könne aber „den Verlauf der Kampfhandlungen nicht beeinträchtigen“. Alle militärischen Ziele Moskaus könnten unabhängig davon erreicht werden.

Kuleba trat im September als Kiews Chefdiplomat zurück, nachdem der ukrainische Staatschef Wladimir Selenskij in großem Stil hochrangige Beamte aus dem Weg geräumt hatte. Vor seinem Rücktritt hatte er wiederholt behauptet, dass ein Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld möglich sei, solange die westlichen Unterstützer ausreichende Mengen an schweren Waffen zur Verfügung stellen würden.

Seine Forderungen nach Waffen und Geld waren oft ruppig, etwa als er die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock aufforderte, Taurus-Marschflugkörper auszuhändigen, da es ja „nur eine Frage der Zeit“ sei, bis sie „es sowieso tun würde“.

„Wir Ukrainer haben Glück, dass Joe Biden 2022 Präsident der Vereinigten Staaten war, denn wäre es jemand anderes gewesen, wäre es für uns viel schlimmer gekommen“, sagte Kuleba der Financial Times. Seiner Darstellung nach habe der US-Präsident die Lieferung bestimmter Waffensysteme immer wieder verzögert, da Biden einer „Logik des Kalten Krieges“ folge und zu viel Angst davor habe, einen Atomkrieg mit Russland zu provozieren.

Unter Biden haben die USA 131,36 Milliarden US-Dollar für die Ukraine bereitgestellt, wie aus Anfang des Monats vom Pentagon veröffentlichten Zahlen hervorgeht. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, das die militärische, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe für Kiew verfolgt, wurden davon knapp 90 Milliarden Dollar tatsächlich überwiesen.

Da nur noch knapp zwei Monate bis zum Amtsantritt des designierten Präsidenten Donald Trump verbleiben, hat Biden einem Bericht von Politico zufolge den Kongress gebeten, zusätzliche 24 Milliarden Dollar für die Ukraine zu bewilligen, was das US-Magazin als „ziemlich aussichtslos“ bewertet.

Doch selbst wenn die milliardenschwere Hilfstranche genehmigt würde, hätten die ukrainischen Streitkräfte weiterhin mit einem umfassenden Personalmangel zu kämpfen. Wie The Economist diese Woche berichtete, hat Kiew seit 2022 bis zu einer halben Million Soldaten verloren, eine Zahl, die den offiziellen Zahlen des russischen Verteidigungsministeriums nahekommt.

Da Berichten zufolge Desertionen zunehmen und die ukrainischen Rekrutierer zu immer brutaleren Methoden greifen müssen, hat das Weiße Haus Kiew aufgefordert, das Mindestalter zur Einberufung auf 18 Jahre zu senken, um seine Rekrutierungsziele zu erreichen, wie Associated Press am Mittwoch berichtete.

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