Von PROF. EBERHARD HAMER | Vor 100 Jahren machte der selbständige Mittelstand etwa 20 bis 22 Prozent, der angestellte Mittelstand nur zehn bis elf Prozent der Bevölkerung aus, also insgesamt maximal ein Drittel der Gesamtbevölkerung.
Seit Ende des zweiten Weltkrieges wandelte sich dagegen das Verhältnis von selbständigem und angestelltem Mittelstand. Machte der selbständige Mittelstand 1960 noch etwa 19 Prozent, der angestellte Mittelstand dagegen 14 bis 15 Prozent, also insgesamt weiterhin ein Drittel der Bevölkerung aus, hat sich der gesamte Mittelstand bis zum Jahr 2020 auf 47 Prozent – also fast die Hälfte der Bevölkerung – erhöht, ist innerhalb dieses Mittelstandes aber die Zahl der selbständigen nur noch halb so hoch wie die der angestellten Mittelständler.
Als Mittelstand bezeichnet die Mittelstandsforschung alle Erwerbstätigen mit ihren Angehörigen, welche ein Einkommen oberhalb des Medianeinkommens (3500 Euro brutto) haben, also die „Besserverdienenden“, nicht nur mit höherem Einkommen, sondern auch mit ca. 62 Prozent des privaten Immobilienvermögens und 53 Prozent des volkswirtschaftlichen Gesamtvermögens.
Der deutsche Wohlstand hat seinen Zenit überschritten
Obwohl dieser Mittelstand brutto zwei Drittel der Steuern und Sozialabgaben in Deutschland zu tragen hat und netto (unter Einberechnung von Subventionen und Sozialleistungen) sogar 80 Prozent unserer Staats- und Sozialfinanzen tragen muss, ist es dem deutschen Mittelstand trotz der größten Umverteilung der deutschen Geschichte (zwei Drittel BSP) so gut wie nie vorher gegangen, hatte er den höchsten Lebensstandard, den je eine Generation in Deutschland erreicht hat.
Der deutsche Wohlstand hat allerdings seinen Zenit inzwischen überschritten: Eine US-Wirtschaftsdiktatur hat inzwischen Sanktionen nicht nur gegen Russland, sondern damit auch gegen Deutschland verhängt – sogar unsere Energieleitungen gesprengt –, hat die Globalisierung reduziert, weltweit russisches Vermögen (auch deutsche Guthaben in Rubel) wie im 2. Weltkrieg beschlagnahmt und mit Strafen, Interventionen und Zöllen vor allem deutsche und chinesische Importe bekämpft. Dazu haben die USA zwangsweise unsere „Abhängigkeit von (billiger) russischer Energie“ in eine dreifach so teure Abhängigkeit von US-Energie umgewandelt“.
Die Reduktion des Welthandels betrifft vor allem die Exportweltmeister. u.a. Deutschland, und die drastischen Energieverteuerungen ebenfalls. Der auf billiger Energie, Welthandel und technischem Vorsprung beruhende Wohlstand Deutschlands und des deutschen Mittelstandes verliert so seine Grundlage.
Wechsel der Wirtschaftspolitik „von Ökonomie zu Ökologie“
Dazu hat die eigene Regierung durch Verbote (z. B. gegen Landwirtschaft), durch Heizungsgesetz, durch CO2-Besteuerung, durch Zwangstransformation und „grünen Öko-Umbau“ unsere Wirtschaft zwangsreduziert und damit nicht nur die Gewinne und die Existenz unserer mittelständischen Betriebe, sondern auch die Reallöhne der wertschöpfenden Leistungsträger in diesen Betrieben reduziert. Das Scheinwachstum lag in der Inflation und im wachsenden Anteil unproduktiver Beschäftigung vor allem des öffentlichen Dienstes mit Finanzierung durch Verschuldung.
Mit unsinnigen Staatsinterventionen der Corona-Politik hat die Regierung sogar ganze Branchen stillgelegt (und auf Dauer geschädigt), die Wirtschaft von Rentabilitäts- auf Klimaziele umgezwungen und damit einen Wechsel der Wirtschaftspolitik „von Ökonomie zu Ökologie“ unter Inkaufnahme von Unwirtschaftlichkeit erzwungen.
Die unsinnige Angst der Ampel-Regierung vor „Weltenende durch Klimawende“ und der Versuch, Deutschland zum Musterfall einer Neuausrichtung auf unwirtschaftliche Klimaziele zu zwingen, haben ein Ende des jahrzehntelangen Booms, eine Rezession und einen Verfall der Arbeitsmotivation bei den Beschäftigten gebracht. Zugleich hat die Regierung durch Existenzsicherung für Nichtarbeit (Bürgergeld) millionenfache Massenimmigration von Arbeitsscheuen (70 Prozent, unter Ukrainern sogar 82 Prozent) den Anreiz zur Arbeit genommen und Facharbeitermangel geschaffen.
Welche Mittelstandsgruppen sind bedroht?
Der Rückgang unserer Exportindustrie durch Ende der Globalisierung, durch willkürliche Verteuerung von Rohstoffen und Produktionskosten durch die Regierung, durch Überbürokratisierung aller Wirtschaftsleistungen und durch Zwangsumstellung von Rentabilitäts- auf Klimaziele zwingt die deutschen Weltkonzerne, ihre Produktion in kosten-, bürokratie- und ideologiegünstigere Länder zu verlegen, zumal diese mit Subventionen locken (USA u.a.).
Da die übrige Welt unseren Klimafanatismus nicht teilt und ihrer Industrie günstigere Bedingungen erhält, fällt der frühere Exportweltmeister Deutschland mit seinen weltführenden Industriezweigen, der Automobilindustrie, der Werkzeugindustrie und der Chemie, im internationalen Wettbewerb zurück, werden aus Exportüberschüssen wie jetzt schon durch die Energiewende durch die notwendig gewordenen Atomstromimporte aus Frankreich Außenhandelsdefizite und massive Wohlstandsverluste.
Die Zuliefererindustrie wird vom Absturz unserer Exportindustrie mitgerissen, verliert Aufträge, muss der Investitionsverlagerung der Großindustrie mit ins Ausland folgen oder in Deutschland ihre Betriebe schließen. Das Sterben der Zuliefererindustrie hat bereits begonnen.
Totalexistenzvernichtung
Wenn Großwirtschaft und Mittelstand ihre günstigen Wirtschaftsbedingungen in Deutschland verloren haben und reduzieren müssen, werden auch tausende von Selbständigen in der Dienstleistung für diese Firmen ihre Aufträge und Existenz verlieren. Schon jetzt geben hunderttausende von Soloselbständigen und Berater sowie Dienstleister wegen der sinkenden Nachfrage auf, vor allem auch Neugründungen, welche für Verluste noch keine Rücklagen haben.
Das Mittelstandsinstitut Hannover schätzt, dass von unseren ca. sechs Millionen selbständigen Existenzen mehr als eine Million bis Ende dieses Jahres verschwunden sein werden und im weiteren Verlauf der Rezession noch eine weitere Million aufgeben muss.
Viele Unternehmer müssen nun lernen, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht nur ihrer eigenen Tüchtigkeit abhängt, sondern auch, ob Regierungs-Ökonomen ihnen gute wirtschaftspolitische Voraussetzungen schaffen oder politische Narren ihre Existenzbedingungen vernichten. Die Folgen treffen nicht die Täter, sondern die Unternehmer als Opfer – wenn es sogar zum Konkurs kommt – mit 30jähriger Haftung und Totalexistenzvernichtung.
Aber auch für angestellten Mittelstand schwindet bereits die Wohlstandsbasis:
- Die Gehälter werden durch Rezession nicht mehr steigen, sondern sinken, viele Unternehmen gezwungen, auch qualifizierte Mitarbeiter zu entlassen. Die Chancen, aus produktiven Leistungserträgen zu leben, werden geringer, dafür die Chancen, aus wenig oder unproduktiven Dienstleistungen im öffentlichen Sektor zu überleben, größer – solange der Staat noch Schulden machen kann –, so dass der Trend von produktiver Arbeit zu unproduktiver Beschäftigung weitergeht und unsere Volkswirtschaft von Wirtschaftsleistung zu Sozialleistung und unproduktiver Verwaltung „transformiert“ wird. In unproduktiven Sozial- und Verwaltungsbereichen sind aber hohe Gehälter nicht tragbar, schwinden die Möglichkeiten für mittelständische Leistungsträger.
- Aber auch der Staat selbst kann seine derzeitige Geldverschwendung nicht weitermachen, wenn die Wirtschaft und damit die Steuer- und Sozialeinnahmen abstürzen. 1930 musste der Staat schon einmal alle öffentlichen Gehälter um ein Drittel kürzen, dies wird wiederkommen und massive Privatisierungen sowie Schließungen von etwa einem Drittel überflüssiger oder sogar schädlicher öffentlicher Behörden und Ideologieorganisationen mit sich bringen, so dass deren üppig besoldete Funktionäre sich eine anderweitige produktive Arbeit suchen oder darben müssen. Die Zeiten, wo man als Beamter oder öffentlicher Angestellter für unproduktive Arbeit mehr verdienen konnte als die produktiven Leistungsträger der Privatwirtschaft werden enden und sich wieder umkehren – mit drastischen Folgen vor allem in der öffentlichen Sozial-, grünen Ideologie- und Gesundheitsverwaltung.
- Wenn die Betriebe keine Gewinne mehr haben, werden sie auch keine Steuern und Sozialabgaben mehr zahlen, werden auch die Mittel für üppige öffentliche Sozialverwaltung nicht mehr vorhanden sein, wird nach der regierungsverordneten „Transformation in die Unwirtschaftlichkeit“ (Ökologie statt Ökonomie) wieder eine Zwangstransformation von unwirtschaftlicher Verwaltung auf wieder werteschaffende Produktion nötig werden. Hunderttausende von Wohlstandsverwaltung verdorbene Existenzen werden diesen Wandel nicht wollen oder schaffen und abfallen.
Menschen haben durch Teuerung und Inflation immer weniger Geld
Der Zusammenbruch mittelständischer Branchen bis hierher wird auch volkswirtschaftliche Folgen haben. Die meisten Bäckereien sind an den Energiekostensteigerungen unrentabel geworden und geschlossen. Viele Gastronomiebetriebe konnten die steigenden Kosten nicht mehr aushalten, weil ihr Umsatz sank. Die Menschen haben durch Teuerung und Inflation immer weniger Geld für nicht-existenzielle Wünsche übrig.
Andererseits finden Handwerksmeister für ihre Betriebe immer weniger Nachfolger, weil unsere Jugend von einer grün versifften Lehrerschaft zu Spaß und Lust statt Leistung in den Schulen verführt wird. In wichtigen Branchen des Reparaturhandwerks ist das Betriebssterben so dramatisch, dass – etwa bei Elektro-, Heizungsinstallateuren, Gas-/Wassermonteuren in Not geratene Haushalte keinen Betrieb mehr finden, welche ihnen kurzfristig aus der Not durch Reparatur hilft. Andererseits haben wir 40 Prozent Hochschulversager, die in diesen Mangelhandwerken ausgebildet werden könnten, aber nicht wollen, weil sie ausreichend vom Sozialstaat (Bürgergeld) leben können und sich für praktische Berufe zu schade fühlen.
Die Transformation von Ökonomie zu Ökologie und zum Klimawahn durch die Ampel-Regierung hat einen Wirtschaftsabsturz eingeleitet, der die Hälfte des Mittelstandes mit in die Unterschicht abrutschen lassen wird. Die Zeiten der mittelständischen und bürgerlichen Gesellschaft sind zusätzlich durch den Massenimport von Proletariern und durch die politische Herrschaft des Proletariats vorbei.
Was bleibt zu tun?
Bisher wandern bereits 200.000 bis 300.000 qualifizierte Mittelständler in Länder aus, die weniger selbstzerstörerisch sind als Deutschland.
Wie nach dem Kriege die Offiziere in alle – auch praktische – Berufe drängten und damit wieder ihren Aufstieg erreichten, könnten auch die freigestellten Beamten und öffentlichen Diener vor allem des Sozialbereichs in der Not wieder praktische wertschöpfende Berufe ergreifen und damit nicht nur etwa das Problem der fehlenden Reparaturhandwerker lösen, sondern sich damit auch eine Existenz schaffen, – wenn sie den Mentalitätswandel vom Sozialleistungsnehmer zum Leistungsträger schaffen.
Dramatisch wird es für viele Mittelständler, wenn der Staat in der Not auf ihr Vermögen – vor allem auf das eigene Haus – zugreift und wenn mit mathematischer Sicherheit unser Rentensystem platzt und nur noch zu Mindestrenten führt. Das Problem der „armen Alten“ wird dann aus der Unterschicht auch in die Mittelschicht übergreifen.
Unsere Absturzursachen sind weniger durch die Bürger selbst, sondern durch die Politik verursacht. Solange aber die Altparteien jede Kritik an ihren Fehlern und jede notwendige Korrektur mit einer „Brandmauer“ stoppen, wird sich trotz Wechsels unter den Täterparteien die Politik nicht grundsätzlich ändern, was aber die Voraussetzung für einen Stopp des Absturzes und eine Erneuerung unserer Mentalität, unserer Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialstrukturen wäre.
Rot-grüne Diktatur des Proletariats
Schon Joschka Fischer hat aber seine Anti-Mittelstandspolitik offenbart: Millionen von Proleten hereinholen, ihnen Bürgerrecht und Wahlrecht geben und dann dauerhaft rot-grüne Diktatur des Proletariats ausüben können, notfalls mit schwarzer Hilfe (CDU).
Dass diese Entwicklung läuft, hat der Mittelstand selbst verschuldet. Er hat geschlafen und bei Verschuldung, Massenimmigration, Öko-Wahn und bei der Transformation unserer Leistungsgesellschaft in eine Sozialleistungsgesellschaft nicht wie die Bauern öffentlich demonstriert.
Die Angst im Mittelstand vor Absturz und Verarmung ist deshalb berechtigt, aber zum Teil auch selbst verschuldet.
![Prof. Eberhard Hamer.](http://www.pi-news.net/wp-content/uploads/2020/04/hamer_pi.jpg)
PI-NEWS-Autor Prof. Dr. Eberhard Hamer (* 15. August 1932 in Mettmann) ist ein deutscher Ökonom. Sein Schwerpunkt ist die Mittelstandsökonomie. In den 1970er Jahren gründete er das privat geführte Mittelstandsinstitut Niedersachsen in Hannover und veröffentlichte über 20 Bücher zum Thema Mittelstand. Hamer erhielt 1986 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Seine Kolumne erscheint einmal wöchentlich auf PI-NEWS.
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