Von Dagmar Henn
Die deutsche Presselandschaft liefert zu den Auseinandersetzungen in Amsterdam eine eindeutige Position. „Antisemitische Gewalt“ heißt es beispielsweise im Spiegel. „Gewalt gegen israelische Fans“ in der FAZ. Manche schreiben sogar von einem „Pogrom in Amsterdam“.
Schon die Videos, die sich auf die Zeit vor dem Spiel beziehen, liefern andere Informationen. Die „Fans“, die da zu sehen sind, sind eine sehr spezifische Sorte – es sind Hooligans. In diesem Fall israelische Hooligans. Würde man das deutlich sagen, würde die Geschichte von den unschuldigen Opfern schon nicht mehr funktionieren.
Sport und ritualisierte Gewalt
Dass Hooligans verschiedener Vereine aneinandergeraten, ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Auch wenn man von außen in Hooligans nur chaotische Gruppen gewaltbereiter junger Männer sieht – selbst da gibt es Regeln. Und derartige Massenschlägereien haben eine lange Tradition in Europa.
Im Gegensatz zu dem Bild, das die Meisten vor Augen haben, wenn sie von mittelalterlichen Turnieren lesen – diese ordentlichen Kollisionen von schwer gepanzerten Reitern waren immer nur ein Teil der Turnierkultur. Daneben (und historisch gesehen auch davor) gab es im Rahmen dieser Turniere organisierte Massenschlägereien zweier unterschiedlicher Gruppen. In manchen Bräuchen hat sich das noch länger gehalten – wenn in Bayern Burschen aus dem einen Dorf denen aus dem Nachbardorf den Maibaum klauen wollen, dann endet das oft in einer Prügelei. Wenn die heimische Partei unterliegt, entführt die andere den Maibaum und er muss mit Bier wieder ausgelöst werden.
Der Sport ist kulturgeschichtlich eine Ableitung aus diesen Scheingefechten, und manche Sportarten, wie Rugby oder Boxen, lassen diesen Ursprung auch noch erkennen. Hooliganismus ist gewissermaßen die rohe Version, mit weitaus weniger Regeln, was ihn für junge Männer verlockend macht, die auch wissen wollen, was sie einstecken können. Dabei ist die Auseinandersetzung streng auf die beiden Gruppen begrenzt; Außenstehende sollten nicht mit einbezogen werden, ebenso wenig wie ihr Eigentum.
Hooliganismus entstammt der britischen Arbeiterklasse, und wenn man daran denkt, wie hierarchisch es in Fabriken zugeht, erklärt sich dieser Überschuss an Gewalt fast von selbst. Es geht darum, eine Situation zu schaffen, in der man nur auf die eigene Kraft und Geschicklichkeit und die seiner Freunde achten muss. Solange die Regeln eingehalten werden, bleibt die ausgetragene Auseinandersetzung unauffällig, weil die Beteiligten einander die ausgeübte Gewalt nicht vorhalten – ein Hooligan, der Anzeige erstattet, weil er verprügelt worden ist, macht sich lächerlich.
Das ist das Erste, was an den frühen Videos aus Amsterdam auffällt – diese Hooligans halten sich nicht an die Regeln. Sie greifen Unbeteiligte an. Sie tun dies sogar mit Waffen, wie der Angriff auf ein Amsterdamer Taxi mit einer Kette belegt. Beides ist für die meisten Hooligans tabu. Was schon einmal bedeutet, dass sie sich äußerst ernsthaft mit ihrem Gegenüber in Amsterdam angelegt haben, für die das eine Revierverletzung darstellt.
Wer sind die Hooligans von Maccabi Tel Aviv?
Abgesehen davon, dass das Stichwort Hooligan in der Berichterstattung sorgfältig vermieden wird, gibt es vorsichtige Andeutungen, dass mehr dahintersteckt. So beispielsweise auf t-online:
„In Amsterdam gab es dann Machtdemonstrationen der Maccabi-Anhänger, wie sie für Pulks von Fußballanhängern auf Auswärtsfahrten typisch sind. Eine große Gruppe Israelis skandierte aber auf dem Weg zum Spiel vor dem Hauptbahnhof auch ‚Let IDF win to f*ck the Arabs‘. Zum Maccabi-Fanlager zählen auch politisch rechte Ultra-Gruppierungen, wie die ‚Jüdische Allgemeine‘ schreibt.“
Nun gibt es politische Auseinandersetzungen auch in der Hool- und Ultraszene. In Deutschland beispielsweise zwischen der von Hansa Rostock und der von St. Pauli. Manchmal mischen sich auch lokale Rivalitäten mit politischen Untertönen, die sogar weit zurückreichen können. In München war 1860 der Verein, der Anfang der 1930er den Nazis nahestand, und Bayern München war eher links; eine Verteilung, die man noch vor zehn Jahren genau so wiederfinden konnte. Was sich dann bis in Verbindungen zu anderen Vereinen erstreckt – die Bayern-Ultras pflegten eine enge Freundschaft mit den Red Sharks aus St. Pauli. Die Hooligans von Celtic Glasgow machen sich wiederum öfter durch Palästina-Plakate bemerkbar.
Diese politischen Untertöne ändern aber nichts an den Spielregeln. Auch wenn die Begegnungen mit einer zusätzlichen Ernsthaftigkeit versehen werden, sind sich beide Seiten in der Regel einig, welches Verhalten zulässig ist und welches nicht.
Und dann gibt es die Ausnahmen. Die Hools von Dynamo Kiew beispielsweise, die zum organisatorischen Kern des Rechten Sektors wurden. Die verwandelten sich von Hooligans in eine Art SA und tauchten überall auf, wo es vor dem Beginn des Bürgerkriegs blutig wurde.
Die Hooligans von Maccabi Tel Aviv gehören wohl eher in diese Kategorie. Das belegte auch die Israel-Korrespondentin der BBC mit ihrem Satz: „Fans der Mannschaft haben auch schon Demonstranten angegriffen, die gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu demonstrierten.“
Wie politisiert Maccabi ist, belegt, ganz nebenbei, der Bericht von CBS über diese Vorfälle. Die Stadt Amsterdam hatte am Tag des Spiels eine propalästinensische Demonstration verboten, nicht aber eine proisraelische.
„Es gab auch Auseinandersetzungen vor dem Spiel, als unter Hunderten, die bei einer Pro-Israel-Demonstration durch die Stadt zogen, bei der bengalische Feuer angezündet und palästinensische Fahnen, die in einigen Straßen hingen, heruntergerissen wurden, unter Gesängen von ‚Tod den Arabern‘, Maccabi-Fans waren.“
Wie gesagt, wenn selbst die BBC-Korrespondentin eingesteht, dass es auch in Israel rassistische Vorfälle mit Maccabi-Hools gab, und sie durch das Zentrum von Amsterdam marschieren und dabei „Tod den Arabern“ rufen, dann erinnert das deutlich an Dynamo Kiew. Dass diese Truppe einen Taxifahrer aus dem Taxi zieht und zusammenschlägt, wundert nicht. Aber Taxifahrer sind ein ganz unpassendes Objekt, die wehren sich nämlich üblicherweise.
Das Sammeln von Gegnern
„Beteiligt an der Verbreitung von aktuellen Bildern war offenbar auch die überall präsente und gut vernetzte Taxifahrer-Szene. Dort haben viele Menschen arabische Wurzeln. Durch einen mutmaßlichen Übergriff von Maccabi-Anhängern auf einen Taxifahrer war der Unmut zusätzlich groß.“
Das schreibt t-online. Dass „viele Menschen arabische Wurzeln haben“ ist hier eher nebensächlich. Taxifahrer haben Funk; Nachrichten über Übergriffe gegen Taxifahrer verbreiten sich schnell, und traditionell halten sie gegen die Angreifer zusammen. Das ist gerade für jene, die nachts unterwegs sind, eine notwendige Sicherheitsmaßnahme, weil der Beruf oft nicht ungefährlich ist. Man kann jedoch in fast jeder Stadt Beispiele finden, dass es nicht klug ist, sich mit den Taxifahrern anzulegen, insbesondere nicht als Gruppe – weil sie dann anfangen zu suchen, die Gruppe mit hoher Sicherheit geortet wird und man es dann eben nicht mehr mit einem einzelnen Taxifahrer zu tun hat. Das ist bei deutschen Taxifahrern nicht anders.
Den Hools von Maccabi ist es also gelungen, sich durch die Vorfälle, die in den deutschen Medien selbstverständlich heruntergespielt werden, gleich drei Gruppen zum Feind zu machen: die einheimischen Hooligans von Ajax Amsterdam, weil sie sich selbst nach den Regeln des Hooliganismus danebenbenommen haben; die arabischen Migranten in Amsterdam, weil sie die Fahnen herunterrissen und großmäulig mit „Tod den Arabern“-Parolen durch die Straßen zogen, und die Amsterdamer Taxifahrer, weil sie einen der ihren angegriffen hatten (genaugenommen zwei, weil es auch noch die Szene mit der Kette gibt). Auch wenn anzunehmen ist, dass ein guter Teil dieser Hools in der israelischen Armee war, sind das ziemlich viele Gegner auf einmal.
Und Geert Wilders
Es ist auffällig, dass bei den ersten Videos, den Angriffen durch die Maccabi-Hools, sehr wenig Polizei zu sehen ist. Man hätte annehmen müssen, dass bei den Ausschreitungen aus dieser Demonstration heraus (so diese Information stimmt) die Polizei eingreift.
Allerdings darf man dabei eines nicht vergessen: Die Niederlande haben eine Regierung, die ein politisches Interesse daran hat, dies nicht zu tun, genau um eine solche Reaktion auszulösen, wie sie dann erfolgt ist. Weil im Falle von Wilders die Position gegen die massenhafte Einwanderung vor allem eine gegen die Einwanderung von Moslems ist, und eine Situation, in der man diese muslimischen Einwanderer zu besonders gefährlichen Menschen erklären kann, nützlich ist. Die Reaktion der Taxifahrer belegt jedenfalls, dass sie nicht die Erwartung hegten, dass die Polizei zu ihrem Schutz eingreift.
Wilders hat sich längst entsprechend geäußert:
„Sieht aus wie eine Judenjagd in den Straßen von Amsterdam. Verhaftet und deportiert diesen multikulturellen Abschaum, der die Unterstützer von Maccabi Tel Aviv in unseren Straßen angegriffen hat.“
Wilders, so schreibt CBS in seinem Bericht vor diesem Zitat, sei ein „entschiedener Verbündeter Israels“.
Amsterdam ist jedoch eine Stadt der Migranten. Bereits seit 2011 stellen sie die Mehrheit der Stadtbevölkerung, auch wenn die Niederländer noch immer die größte Gruppe ausmachen. Die zweitgrößte sind bereits die Marokkaner. Was dann logischerweise heißt, dass sie auch einen entsprechenden Anteil unter den Fans von Ajax Amsterdam stellen, und ebenso unter den Hools von Ajax Amsterdam.
Weshalb die Aussage, da wären viele Marokkaner unter jenen gewesen, die dann in der Nacht, nach dem Spiel, die Fans von Maccabi angriffen, nicht viel besagt – weil es noch lange nicht bedeutet, dass sie dies als Marokkaner getan haben; nichts schließt aus, dass sie zu den heimischen Hools oder den Taxifahrern gehörten. Und wie das bei zwei Großstädten zu sein pflegt, die miteinander konkurrieren (wie um den Titel der Hauptstadt der Niederlande, den derzeit Amsterdam trägt, obwohl die Regierung in Den Haag sitzt), könnte selbst bei Wilders auch dies noch eine Rolle spielen.
Warum überhaupt?
Nun hätte dieses spezifische Spiel nicht stattfinden müssen. Es gab genug Anträge bei der UEFA, die israelischen Vereine von den Wettbewerben auszuschließen, solange der Genozid in Gaza weitergeht. Diese Anträge wurden bisher alle niedergestimmt. So ist das bei allen westlichen Sportorganisationen, das IOC eingeschlossen, und auch beim Schlagerwettbewerb ESC: Israel bleibt immer mit dabei, und ein Dutzend zerbombter Städte ändert daran nichts.
Allerdings war man sich durchaus zuvor bewusst, dass es da gewisse Probleme geben könnte, und hat schon einmal das Spiel gegen Fenerbahçe Istanbul in ein anderes Land verlegt. Wieder einmal t-online: „Im belgischen Brüssel hatte die Stadt Brüssel aus Sicherheitsgründen sogar abgelehnt, Austragungsort eines Spiels der Belgier gegen die israelische Fußball-Nationalmannschaft in der Nations League zu sein. Im Vorfeld der Partie von Ajax hatte es auch Forderungen gegeben, keine Maccabi-Fans zuzulassen.“
Warum also wurden die Hools von Maccabi auf Amsterdam losgelassen? Auch um der Sicherheit anderer israelischer Fans willen, die nicht „Tod den Arabern“ rufend durch die Stadt ziehen wollen, hätte man sie zumindest streng begleiten und an den Ausschreitungen hindern können. Wenn man schon nicht bereit ist, den eigentlich logischen Schritt zu gehen, die israelischen Vereine von den Wettbewerben auszuschließen.
Passiert ist das Gegenteil. Und dann wird darum die Geschichte gewoben, das sei jetzt Antisemitismus. Nun, immerhin dürften die Hools von Maccabi damit unten durch sein. Denn erst alle Grenzen überschreiten und dann die Sissi geben, wenn es aus dem Wald zurückschallt, wie hineingerufen wurde, gilt in dieser Szene als ehrlos.
Aber da gibt es noch eine Meldung in der Jerusalem Post vom 5. November. Die hat allerdings, unter Berufung auf den niederländischen De Telegraaf, gemeldet: „Für den Fall: Mossad-Agenten schließen sich der Reise von Maccabi Tel Aviv nach Amsterdam an“. Was gleich eine ganz andere Frage aufwirft. Denn das Verhalten der Hools von Maccabi in Amsterdam war so extrem dämlich, dass man neben grenzenloser Überheblichkeit durchaus eine andere Ursache in Betracht ziehen könnte.
Was, wenn genau dieses Ergebnis gewünscht war? Die Reaktion der westeuropäischen Presse wie der Politik ist immerhin weitgehend berechenbar, und jemand wie Wilders hätte dabei sicher mitgespielt. Schon die Demonstration mit Bengalos und dieser Losung war eine gezielte Provokation in dieser Stadt. Eine Provokation, die hätte verhindert werden müssen, im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens in Europa. Aber es ist so praktisch, jetzt aus diesem Straßenkonflikt wieder „antiisraelischen Antisemitismus“ zu stricken, und diejenigen, die auf die Provokation reagiert haben, zum „Feind des freien Westens“ (Welt) zu erklären. Schließlich folgt zwar die politische Elite der EU weitgehend noch der Behauptung vom „Selbstverteidigungsrecht Israels“, aber die Bevölkerung geht angesichts des Genozids langsam von der Fahne.
Es kann also ein schlichter Akt von Arroganz und Dummheit gewesen sein, der dazu führte, dass am Ende die Maccabi-Hools die Prügel einsteckten, oder es war blanke Absicht. Wie auch immer, das Spiel jedenfalls endete 5:0. Für Ajax Amsterdam.
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