Von Susan Bonath

Die Gedanken der herrschenden Klasse seien „in jeder Epoche die herrschenden Gedanken“: Das schrieb der deutsche Philosoph, Ökonom und politische Journalist Karl Marx bereits vor etwa 180 Jahren nieder. Wie aktuell das ist, zeigt sich nun dort, wo künftige Verbreiter herrschaftlicher Deutung studieren. Hilft allein die Propaganda nicht genug, um klarzustellen, wo „gut und böse“ gefälligst zu verorten sind, bleibt nur die Repression. Akademische Gleichschaltung ist angesagt in Deutschland.

Vortragsverbot und Jobverlust in Bayern

Zwei eindrückliche Beispiele verdeutlichen das: An der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München wollte die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen (UN) für Palästina, Francesca Albanese, Mitte Februar einen Vortrag mit dem Titel „Kolonialismus, Menschenrechte und Völkerrecht“ halten und dabei auf Israels Flächenbombardement im Gazastreifen eingehen. Doch ihre Einschätzung passt der Uni-Leitung nicht. Sie verweigert Albanese den Raum mit fadenscheiniger Begründung: Man wolle einen „Meinungskampf“ verhindern

Auch im bayrischen Augsburg entledigt sich die dortige Universität ihrer Angestellten mit abweichender politischer Meinung. Dort kandidiert der Student Gabriel Bruckdorfer zur Bundestagswahl für die Linkspartei. Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete er nebenher in der EDV-Betreuung der Uni. Letztere nun hatte seinen Arbeitsvertrag zum Jahresende 2024 auslaufen lassen. Sie begründete dies mit seiner Parteizugehörigkeit seit August 2024: Weil er wegen seines jungen Alters damit zugleich Mitglied von deren Jugendverband sei, gebe es „Zweifel an seiner Verfassungstreue“. Die „Linksjugend Solid“ wird in Bayern geheimdienstlich beobachtet.

Pflichtbekenntnisse und Überwachung

Wo Konfrontationen mit dem Grundgesetz drohen, werden derartige politische Repressionen als Ausnahmen verrechtlicht. Die Einstufung von Solid als „linksextremistisch“ ist dabei ein auf Landesebene verankerter Sonderweg der Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Der öffentliche Dienst darf Mitglieder von Organisationen, die dergestalt politisch markiert sind, nicht einstellen. Das ist defacto ein Berufsverbot für Linke oder als solche Eingeschätzte.

Schwieriger noch ist es für den deutschen Staat, im israelisch-palästinensischen Konflikt die Deutungshoheit zu bewahren und Repressionen gegen Meinungsabweichler durchzusetzen. Bekanntlich ist die sogenannte Staatsräson, wonach Deutschland unerschütterlich an der Seite Israels steht, kein Gesetz. Hier setzt die Politik auf Maulkörbe durch Bundestagsresolutionen und entsprechende Medienkampagnen. Schleichend lässt sie so Meinungsverbote in die polizeiliche und juristische Exekutiv-Praxis einsickern.

So geschah es letzte Woche einmal mehr mitten in der Nacht im Bundestag: Gegen vehemente Einwände der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die sich politisch „bevormundet“ sieht, stimmten alle Parteien mit Ausnahme der Gruppe BSW, die dagegen stimmte, sowie der Gruppe Die Linke, die sich enthielt, für eine weitere „Antisemitismus“-Resolution für Universitäten und Hochschulen.

Verbannung jeglicher Kritik an Israel

Das Papier mit dem Titel „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ kommt gewohnt moralisierend und euphemistisch verfälschend daher. Beim Lesen wird schnell klar: Es geht nicht um Hass auf Juden, sondern vor allem um Letzteres: Ein Defacto-Verbot von Kritik an der von Deutschland unterstützten rechtsextremen Regierung Israels und ihrer aktenkundig völkerrechtswidrigen und mörderischen Besatzungs-, Entrechtungs- und Vertreibungspolitik gegen Palästinenser.

Der Wortlaut der Resolution lässt keinen Zweifel daran, dass die Politik Solidaritätsbekundungen mit Palästinensern unterdrücken und kritische Stimmen von den Universitäten verbannen will. So wird darin, ohne auch nur einen konkreten Vorfall zu nennen, zum Beispiel schwadroniert:

„An Hochschulen fanden und finden Proteste und Protestcamps statt, in deren Rahmen unter anderem antiisraelische und antisemitische Parolen verbreitet werden. Jüdinnen und Juden haben Angst, ihren Berufen nachzugehen, ihre Hochschulen zu besuchen oder ihre Kinder zur Schule zu schicken.“

Unbelegte Behauptungen

Angeblich würden dort durchweg „eindeutig Sympathien für Islamisten“ grassieren und „antiisraelische und antisemitische Parolen“ verbreitet, wird weiter behauptet. Jüdische Dozenten und Professoren hätten „Angst, ihrem Beruf nachzugehen“, jüdische Studenten trauten sich nicht in ihre Schulen.

Fallbeispiele für diese Behauptungen sucht man vergeblich, zugleich verschweigt das Pamphlet, dass vor allem in Berlin linke Juden die Proteste maßgeblich mittragen. Und dass selbst sie aufgrund hanebüchener Antisemitismusvorwürfe bereits jetzt juristisch verfolgt werden, wie die Autorin kürzlich anhand des Falles des israelisch-deutschen Filmemachers beispielhaft bei RT DE berichtete. Das Pamphlet ist zwar kein Gesetz und rechtlich nicht bindend. Aber die Erfahrung zeigt, dass es zu noch mehr vorauseilendem Gehorsam als schon jetzt führen dürfte. Aus Angst vor Entlassung, Exmatrikulation, juristischer Verfolgung und Medienkampagnen, wie etwa gegen die Alice-Salomon-Hochschule Berlin, dürften sich kritische Dozenten, Professoren und Studenten noch besser überlegen, sich öffentlich zu diesem Thema überhaupt zu äußern.

Keine Spur von „Brandmauer“

Abgesehen davon, dass diese Resolution die tatsächlich antisemitische Gleichsetzung von allen Juden mit dem Staat Israel gerade selbst betreibt: Interessant ist auch, dass die sonst ständig betonte angebliche „Brandmauer“ gegenüber der AfD bei dieser Abstimmung keine Rolle spielte.

Gemeinsam mit den Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen stimmte auch sie dafür, ohne, dass es irgendwen zu irritieren schien. Dies freilich nicht ohne Kritik: Der AfD-Abgeordnete Michael Kaufmann mahnte sogar, die Konsequenzen aus so einer Resolution gingen seiner Partei nicht weit genug.

Kaufmann forderte eine „klare Kante des Rechtsstaats“, also eine direkte Verrechtlichung eines Verbots pro-palästinensischer Bekenntnisse. Mit „Sanktionen“ und „entschlossenen Taten“ müsse der Staat „Verdächtige“ verfolgen. Hart bestraft werden sollen seiner Meinung nach auch „Hausbesetzungen, Nötigung, Beleidigung und Aufmärsche mit judenfeindlichen Parolen“. Was als Letztere gewertet wird, bestimmt freilich die Regierung, die mit eben jener Resolution jede Kritik an Israel unter Verdacht stellt.

Damit deutet der AfD-Politiker auch trefflich den Weg der sogenannten „Altparteien“ an. In Wahrheit gehe, so behauptete er weiter, der heutige Antisemitismus nicht mehr von rechts aus, sondern „von Linksextremisten und muslimischen Einwanderern“. Behauptungen in diese Richtung zeigen sich auch in einer früheren allgemeinen Resolution „gegen Antisemitismus“, welcher die selben Parteien im November zugestimmt hatten.

Jagd auf „linke Antisemiten“

Dies blendet aus, dass politisch links per Definition heißt, sich für gleiche Rechte und Würde aller Menschen einzusetzen. Dazu gehört auch, gegen koloniale Vertreibung und Unterdrückung sowie die Belieferung solcher Regime mit Waffen zu sein. Dies stellen die Resolutionen generell unter den Verdacht antisemitischer Motivation.

Einerseits gibt es also erwartbar Protest gegen einen mutmaßlichen Völkermord, weshalb ja auch der Internationale Gerichtshof (IGH) gegen Israel ermittelt. Andererseits werden alle möglichen Redner oder Parolenrufer auf entsprechenden Demos mit Strafverfahren überzogen – weswegen denklogisch der staatsräsonal, geschichtsverfälschend gleichsetzend, verortete „israelfeindliche Antisemitismus“ zunehmen muss.

Darunter haben dann freilich auch linke Juden in Deutschland zu leiden. Der Verein Jüdische Stimme erlebt seit Jahren politische Repressionen. Die Berliner Sparkasse sperrte ihm das Konto, Mitglieder werden juristisch wegen angeblich „antisemitischer Parolen“ von der Justiz verfolgt, und der Berliner Senat strich einem anderen Verein namens „Oyoun“ die Fördermittel und warf ihn aus städtischen Räumen, weil dieser Mitglieder der Jüdischen Stimme eingeladen hatte.

Mit anderen Worten: Der deutsche Staat will selbst bestimmen, wie Juden in Deutschland politisch zu denken haben. Linke Forderungen nach einem Stopp von Waffenlieferung und anderer Unterstützung des israelischen Regimes sind unerwünscht. Da hilft es auch nichts, selbst dem Judentum anzugehören.

Mörderisches Treiben in Nahost geht weiter

Derweil geht das mörderische Treiben der rechtsextremen israelischen Regierung und ihrer Staatsorgane in Nahost weiter. Der Gazastreifen ist fast komplett zerstört, tausende Tonnen Munition und tausende verschüttete Leichen vergiften die Trümmerlandschaft, in der über zwei Millionen Überlebende in Zelten kampieren müssen. Teile der Regierung drängen derweil auf eine Fortsetzung des Mordens und Zerstörens. Wie lange die bereits mehrfach von Israel verletzte Waffenruhe noch halten wird, ist fraglich.

Unterdessen setzt die Israelische Armee ihre „Mission“ im Westjordanland fort. In einigen Städten sieht es fast schon aus wie im Gazastreifen: Israelische Bomben und Bulldozer zerstören Wohnhäuser, vernichten Menschenleben und zertrümmern die zivile Infrastruktur, darunter die Wasserversorgung. Tausende Palästinenser im Westjordanland verloren in den letzten Wochen ihr Zuhause, Dutzende wurden getötet, darunter kleine Kinder.

In Dauerschleife bricht Israel den Waffenstillstand mit der Hisbollah im Libanon, ganze Dörfer hatte die Armee zuvor dem Erdboden gleichgemacht und – wie im Gazastreifen und im Westjordanland – auch Krankenhäuser gezielt angegriffen. Ähnlich scheint Israel nun auch in Syrien vorzugehen. Laut Spiegel-Bericht fahren die israelischen Panzer dort „einfach weiter, auch durch Häuser“. Israelische Truppen „verjagen Zivilisten und schießen auf Demonstranten“, heißt es weiter.

Völkermord mit deutscher Unterstützung

In offenen Social-Media-Kanälen feiern derweil Tausende israelische Rechtsextreme das Töten von Palästinensern, Libanesen und Syrern, eine Gruppe preist bereits Grundstücke im Libanon an. Siedlungspläne für die völkerrechtswidrig besetzten syrischen Golanhöhen liegen offenbar auch schon in den Schubladen der israelischen Regierung.

Deutsche Waffenlieferungen unterstützen Israel bei seinem völkerrechtswidrigen Treiben. Doch wer immer dies zu laut kritisiert, läuft Gefahr, medialen Hasskampagnen ausgesetzt zu werden, seinen Job zu verlieren und nun sogar von einer Universität geworfen zu werden. Der deutsche Staat könne offenkundig „seine Unterstützung eines Völkermordes nur noch durch Repressionen rechtfertigen“, mahnte der linke jüdische Aktivist Dror Dayan kürzlich im Gespräch mit der Autorin. Er hat wohl recht.

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