Von Jewgeni Krutikow

In den nächsten Monaten will die NATO in der jordanischen Hauptstadt Amman ein Büro für die Kommunikation mit den Ländern des Nahen Ostens eröffnen, das nach dem Modell einer Botschaft funktionieren soll. „Diese Botschaft wird uns helfen, politische Informationen zu sammeln, mit den Menschen zu kommunizieren und besser zu verstehen, wie sich die Situation verändert. Möglicherweise werden wir auch in anderen Ländern präsent sein, wenn dies von den südlichen Partnern gewünscht wird“, so Javier Colomina, der NATO-Sonderbeauftragte für Afrika und den Nahen Osten, gegenüber The National.

Die Tatsache, dass das Bündnis den Ereignissen im Nahen Osten besondere Aufmerksamkeit schenkt, werde seine Unterstützung für die Ukraine in keiner Weise beeinträchtigen, sagt er. „Wir beobachten an vielen Orten Anzeichen von Instabilität. Unsere Organisation ist sehr seriös, und ihre Stärken sind die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Wir sollten sie nutzen, um uns mit den besorgniserregenden Ereignissen auseinanderzusetzen“, fügte der Diplomat hinzu.

Javier Colomina Piris ist ein ehemaliger spanischer Karrierediplomat, der erst vor eineinhalb Monaten zum NATO-Sonderbeauftragten für den Nahen Osten und die afrikanische Sahelzone im Rang eines stellvertretenden Generalsekretärs der NATO ernannt wurde. Eine solche Position gab es im NATO-Stab bislang nicht, was bedeutet, dass Colomina die gesamte NATO-Infrastruktur im Nahen Osten und in Nordafrika von null an aufbauen muss.

Zuvor war er mehrere Jahre lang als NATO-Sonderbeauftragter für den Kaukasus und Zentralasien tätig. Er war nämlich derjenige, der die Idee eines „armenischen NATO-Beitritts“ äußerte und die „Distanzierung“ Jerewans von Moskau begrüßte. Und nun wurde seine Rede in Brüssel anlässlich seines Amtsantritts zu einem Interview über die Einrichtung einer NATO-Botschaft in Amman. Doch es gibt einen Unterschied zwischen der Unterstützung der „Distanzierung“ der Paschinjan-Clique von Moskau und der Institutionalisierung der NATO-Präsenz dort, wo sie noch nie vertreten war, und dies sogar in einer Hochkonfliktregion.

Erstens räumt Colomina selbst ein, dass es unter den NATO-Mitgliedern keine Einigkeit über den Nahostkonflikt gibt. Dies zeigt sich zudem in einer maximalen Meinungsdiskrepanz: von der uneingeschränkten Unterstützung Israels seitens der USA und Deutschlands bis zur uneingeschränkten Unterstützung der Palästinenser seitens der Türkei. Daher kann es überhaupt keine einheitliche NATO-Position im Nahen Osten geben.

Doch es scheint, dass Botschafter Colomina übergangsweise (bis zum Erreichen eines Konsenses, wenn dieser überhaupt möglich ist) eine „Neutralitätsformel“ erfunden hat. Danach wird die Vertretung in Amman versuchen, in erster Linie die bilateralen Beziehungen der NATO zu denjenigen Nahost-Staaten herzustellen, die dazu prinzipiell bereit sind. Colomina zählt sieben solcher Länder auf, ohne sie jedoch konkret zu benennen.

Dabei ist er gezwungen, komplexe und raffinierte Formulierungen zu erfinden. Zum Beispiel: „Die NATO ist an ihren südlichen Nachbarn interessiert, nicht weil von dort eine Bedrohung ausgeht, sondern weil sie zur Zusammenarbeit bereit ist.“

In der Tat haben die NATO als Organisation und ihre einzelnen Mitglieder nach der Niederlage und Zerstörung Libyens kein besonders positives Image im Nahen Osten und in der Sahelzone.

Die Situation wurde durch die Unterstützung Israels bei der jüngsten Vernichtung des Gazastreifens weiter verschärft. Die Araber werfen den NATO-Staaten „Doppelmoral“ vor, und selbst den Europäern fällt es schwer, dem zu widersprechen. Und in den Ländern der Sahelzone will man überhaupt nicht mit ihnen reden: Man hat die NATO-Kontingente, die schon immer dort stationiert waren, nun konsequent die Tür gewiesen.

Die einzige gegenwärtige und nicht gescheiterte NATO-Position in dieser großen Region ist die sogenannte humanitäre Mission in Irak. Allerdings kann man sie kaum als „humanitär“ im eigentlichen Sinne bezeichnen. Schließlich handelt es sich um ein Militärbündnis, nicht um das Rote Kreuz. NATO-Offiziere haben lange Zeit die irakische Armee trainiert, wobei sie nicht als offizielles militärisches Kontingent, sondern nur als Instrukteure betrachtet wurden. Da sie niemanden töteten, behielten sie ein relativ positives Image. Aber als „humanitäre Instrukteure“ haben sie kein Recht, Waffen zu tragen. Daher waren sie völlig abhängig von dem amerikanischen Besatzungskontingent, das sie bewachte.

Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen hängt die NATO-Mission in der Luft. Und nun will Сolomina den Status dieser Mission in irgendeiner Weise umformen und bezeichnet in diesem Zusammenhang den Irak als den wichtigsten „Freund“ der NATO im Nahen Osten. Die Botschaft soll jedoch in Amman und nicht in Bagdad eröffnet werden, da die Sicherheitsfrage dort noch nicht geklärt ist.

Das Hauptproblem dabei ist, dass unter den „sieben NATO-Freunden“ Israel einen Ehrenplatz einnimmt. Die überwiegende Mehrheit der arabischen Länder will dagegen nicht mit dem Land im selben Boot sitzen.

Zugleich versucht Tel Aviv selbst seit mehreren Jahren, eine sogenannte „Abrahamitische Allianz“ aus dem Kreis der mit Israel in diplomatischen Beziehungen stehenden Länder, insbesondere Ägypten, in seinem Umfeld zu bilden. „Die abrahamitische Allianz“ wird als „Nahost-NATO“ bezeichnet, wobei nicht ganz klar ist, wie die „europäische“ NATO sie behandeln wird, falls diese Idee einen neuen Krieg im Libanon überlebt.

Tel Aviv erklärt zudem, dass das Hauptziel dieser „Abrahamitischen Allianz“ die Begegnung der wachsenden „iranischen Bedrohung“ sein wird. Viele erkennen in dieser israelischen Rhetorik ein vollständiges Plagiat der Thesen, mit denen die NATO Mitte des letzten Jahrhunderts gegründet wurde: ein „Verteidigungsbündnis“, das der „wachsenden sowjetischen Bedrohung“ begegnen sollte.

Colomina nennt jedoch nicht Iran als eine der aktuellen Bedrohungen. Er ist eher besorgt über den wachsenden Einfluss Russlands und Chinas in der Sahelzone und generell in Afrika. Was den Nahostkonflikt angeht, so hat die NATO dort nichts zu tun, sie ist schlichtweg aus dieser Region ausgeschlossen. Sie würde sich aber sehr gerne einmischen, denn einer der wichtigsten und gefährlichsten Konflikte der Welt geht an dem Bündnis vorbei.

Colomina würde gerne „die Stimme der NATO in Gaza“ hören. Es ist jedoch nicht klar, welche Klangfarbe diese Stimme haben wird, denn bisher bietet sich die NATO nur als „Verhandlungspartner“ in humanitären Fragen an. Weder Israel noch die Araber haben ein Interesse daran, das Schema zu verkomplizieren und einen neuen und so seltsamen Teilnehmer darin auftauchen zu lassen. Nichtsdestotrotz wird Colomina in diesen Tagen nach Ägypten reisen, um mit der ägyptischen Führung über die humanitären Probleme im Gazastreifen zu sprechen. Kairo seinerseits ist nicht an „irgendwelchen Diskussionen über Gaza“ interessiert. Für die Ägypter ist das Thema Gaza abgeschlossen, ebenso wie die Grenzfrage: Kein Palästinenser kann in den Sinai einreisen. Was hat das mit der NATO zu tun?

Dieses ganze Gewirr von Widersprüchen im Nahen Osten wird sich nicht so schnell auflösen lassen. Schon gar nicht von einer Organisation mit einem stark angeschlagenen Ruf. Darüber hinaus verfügt die NATO offiziell bereits über ein Instrument der Zusammenarbeit mit ihren „südlichen Nachbarn“: den sogenannten „Mittelmeerdialog“, der seit Mitte der 1990er-Jahre läuft, jedoch bislang keinerlei Ergebnisse gebracht hat.

Die Einrichtung einer neuen NATO-Mission im loyalen Amman kann als ein Versuch betrachtet werden, eine Plattform zu betreten, auf der das Bündnis weder derzeit willkommen ist noch in der Vergangenheit erwünscht war. Das liegt mit ziemlicher Sicherheit daran, dass Brüssel versteht, dass die NATO als Organisation von allen Prozessen im Nahen Osten und in Afrika abgekoppelt ist. So managen die Amerikaner ihre eigenen regionalen Interessen irgendwie ohne ein so „universelles“ Instrument wie die NATO. Für das Bündnis, das sich bereits in einer Führungskrise befindet und in der „Hilfe für die Ukraine“ verstrickt ist, ist das nicht nur kränkend, sondern droht in Zukunft auch mit zusätzlichen Imageverlusten.

Allerdings ist unwahrscheinlich, dass dieses neue NATO-Büro in den kommenden Jahren im Nahen Osten ernsthaft Fuß fassen wird. Die Lage im Nahen Osten ist äußerst dynamisch. Unter diesen Bedingungen erscheint die Mission von Colomina nicht nur unmöglich, sondern auch schlichtweg unnötig.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 19. September 2024 zuerst auf der Zeitung Wsgljad erschienen.

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