Das Amt für Ausländische Vermögenskontrolle (OFAC) des US-Finanzministeriums hat Sanktionen über zwei LNG-Tankschiffe und die damit verbundenen Eigentümer und Reeder aus Indien, wegen deren Geschäftstätigkeiten mit Russland, verhängt.
Die USA im Wirtschaftskrieg gegen den „Globalen Süden“
Von REDAKTION | Dazu gab das US Außenministerium am 5. September bekannt:
Mit den heutigen Maßnahmen nimmt das US-Außenministerium zwei Unternehmen und zwei Schiffe ins Visier, die mit Versuchen in Verbindung stehen, Flüssigerdgas (LNG) aus dem von den USA sanktionierten Projekt Arctic LNG 2 [Russlands] zu exportieren.
Das Ministerium verhängt Sanktionen gegen Gotik Energy Shipping Co (Gotik) und Plio Energy Cargo Shipping OPC PVT LTD (Plio Energy). Gotik und Plio Energy sind der eingetragene Eigentümer bzw. kommerzielle Betreiber [Reeder] des LNG-Frachters (LNG/C) New Energy. LNG/C New Energy wendete betrügerische Schifffahrtspraktiken an, einschließlich der Abschaltung seines automatischen Identifikationssystems, um am 25. August 2024 Fracht aus dem von den USA sanktionierten Arctic LNG 2-Projekt über einen Schiff-zu-Schiff-Transfer auf LNG/C Pioneer zu verladen, einem Schiff, das am 23. August 2024 von den Vereinigten Staaten blockiert wurde. Wir weisen auch ein weiteres Schiff, das von Plio Energy verwaltet und betrieben wird, LNG/C Mulan, als Eigentum aus, an dem Plio Energy Interessen hält.
Die US-Regierung wird auch weiterhin auf Versuche, das sanktionierte Projekt Arctic LNG 2 zu betreiben oder Russlands Energiekapazitäten anderweitig zu erweitern, prompt reagieren. Gemeinsam mit unseren G7-Partnern und anderen Verbündeten werden wir der Ausbeutung russischer Energieressourcen zu politischen Zwecken weiterhin entschlossen entgegentreten.
Die US-Maßnahmen folgten, nachdem die USA schon am 23. August über sieben LNG-Tanker, die unter der Flagge Palaus [Inselstaat im Pazifik] registriert sind, Sanktionen verhängt hatte. Dazu ließ OFAC [Amt für Ausländische Vermögenskontrolle] verlauten:
In einem Versuch, die US-Sanktionen gegen das russische Projekt Arctic LNG 2 zu umgehen und es reaktivieren, haben russische Unternehmen Anstrengungen unternommen, gebrauchte LNG-Tanker zu beschaffen, vor allem über Scheinfirmen in Drittländern, um kritischen Mangel an verfügbaren Tankern für das Projekt Arctic LNG 2 so auszugleichen.
Darüber sanktionierte OFAC die in den Vereinigten Arabischen Emiraten domizilierte Reederei White Fox Ship Management, die vier LNG-Tanker betreibt, die laut dem US-Amt Flüssiggas aus dem russischen Yamal-LNG Projekt geladen hatten und einen LNG Terminal von PetroChina in China anliefen.
Außerdem hat USA Novatek China Holdings, ein im August 2023 gegründetes Unternehmen mit Sitz in China, das am Vermarktungsprogramm für LNG und das Projekt Arctic LNG 2 arbeitet, auf die Sanktionsliste setzen lassen.
Matthew Miller, Sprecher des US Aussenministerium sagte:
Die US-Regierung wird auch weiterhin auf Versuche, das sanktionierte Projekt Arctic LNG 2 zu betreiben oder Russlands Energiekapazitäten ansonsten auszuweiten, prompt reagieren.
Das Projekt Arctic 2, das sich zu 60 % im Besitz der russischen Novatek Konzerns befindet, soll Russlands größte Flüssiggasanlage werden, mit insgesamt drei Terminals [auf Englisch Trains genannt] und einer geplanten Produktionskapazität von 19,8 Millionen Tonnen LNG pro Jahr.
Doch der US-Wirtschaftskrieg gegen Russland und seine weltweiten Handelspartner hat schon lange vor der Sonder-Militäroperation Russlands gegen die Ukraine begonnen: Das beweist die Vorgeschichte aus der Zeit vor dem 22. Februar 2022:
Standort: Russlands Arctic LNG 2 Terminal | Quelle: Google Maps
Novatek gab im Frühjahr 2017 seine Absicht bekannt, auf der Gydan-Halbinsel in Westsibirien Verflüssigungsterminals des Projekts Arctic 2 für Flüssigerdgas (LNG) zu errichten. Arctic LNG 2 soll Gas aus den Novatek-Feldern Salmanovskoye (Utrenneye) und Geofizicheskoye exportieren. Als Anteilseigner des Projekts waren Total (10 %), Japan Arctic LNG (10 %) und die chinesischen Unternehmen CNOOC (10 %) und CNPC (10 %) ursprünglich vorgesehen.
Im Februar 2019 gab Novatek bekannt, dass es die Verträge zur Errichtung mit dem deutschen Konzern Siemens sowie mit Saipem (Italien) und Renaissance Heavy Industries (Türkei) abgeschlossen hatte.
Im März 2020 erklärte Novatek den Medien, dass das Projekt trotz Turbulenzen auf den Rohstoffmärkten auf dem richtigen Weg wäre. Laut Hiroshige Seko, Japans Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie, sei „Arctic LNG 2, gemessen an den Kosten, das größte Projekt in der Geschichte der japanisch-russischen Beziehungen“.
Zum Jahresergebnis für 2020 gab Total an, dass das Projekt zum Jahresende zu 45% fertiggestellt wäre. Die Gesamtkosten des Projekts würden sich auf 21 Milliarden US-Dollar belaufen.
Im Mai 2021 teilte der Vorsitzende von Novatek, Leonid Mikhelson, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin mit, wonach das Terminal 3 im Jahr 2025 in Betrieb gehen würde – ein Jahr früher als geplant. Das Gesamtprojekt wäre Ende Mai zu 53 % fertiggestellt gewesen.
Im Januar 2022 gab Novatek bekannt, dass es mit dem unabhängigen chinesischen Energieunternehmen ENN und der Provinzbehörde Zhejiang Energy separate LNG-Verkaufs- und Abnahmeverträge (SPAs) zum Projekt Arctic LNG 2 unterzeichnet hätte. ENN unterzeichnete einen Vertrag über 0,6 Mio. tpa [Tonnen pro Jahr] LNG über eine Laufzeit von 11 Jahren. Zhejiang würde bis zu 1 Mio. tpa über 15 Jahre abnehmen, zusätzlich zu den Mengen, die von den staatlichen chinesischen Ölgesellschaften CNPC und CNOOC, die jeweils einen 10% Anteil an dem Projekt Arctic LNG 2 halten, abgenommen werden.
Im März 2022 gab TotalEnergies bekannt für das Projekt keine Reserven mehr auszuweisen: TotalEnergies sähe in den EU-Sanktionen gegen Russland ein zusätzliches Risiko für das Projekt und hätte daher beschlossen, eine Wertminderung von 4,1 Mrd. USD in seinen Büchern zu verbuchen.
Im Mai 2022 beschloss das mit dem Bau des zweiten – und dritten Terminals [Train] beauftragte chinesische Unternehmen aufgrund der gegen Russland wegen des Krieges gegen die Ukraine verhängten Sanktionen, seine Beziehungen zu dem Projekt auszusetzen.
Im Juli 2022 stellten die Bauunternehmen Technip Energies (Frankreich) und Saipem (Italien) ihre Tätigkeiten ein und kündigten ihren Rückzug aus Russland für das Jahr 2023 an. Die beiden Unternehmen wurden durch die Nipigaz-Tochter Nova Energies und ein neues Unternehmen mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Green Energy Solutions LLC, ersetzt.
2023 wurde der Bau für das zweite Terminal [Train] begonnen, während das erste Terminal Ende 2023 in Betrieb ging.
Im September 2023 verhängten die USA Sanktionen gegen das Projekt: Es waren die ersten US-Sanktionen, die sich direkt gegen eine LNG-Exportanlage aus Russland richteten, gefolgt von zwei weiteren Sanktionsrunden im November 2023 und Februar 2024. Die dritte Sanktionsrunde im Februar 2024 betraf eine Werft, die auf arktische LNG-Tanker spezialisiert ist.
Im Dezember 2023 setzten alle nicht-russischen Investoren, darunter TotalEnergies, Mitsui Group, JOGMEC, China National Petroleum Corporation und China National Offshore Oil Corp., die gesamt einen Anteil von 40 % an dem Projekt hielten, ihre Beteiligung an dem Projekt aufgrund der Sanktionen aus.
Terminal 1 nahm im Dezember 2023 die Produktion auf, musste jedoch wegen Verschiffungsproblemen die Produktion drosseln. Es wurde berichtet, dass die Schwierigkeiten von Novatek, LNG zu verschiffen, in direktem Zusammenhang mit einem Mangel an eisfähigen Gastankern infolge von Sanktionen stünden.
Im Oktober 2023 wurde in Murmansk mit dem Bau des dritten Terminals [Trains] begonnen. Im April 2024 ging Novatek dazu über, für den Bau des Terminals 3 russische Auftragnehmer einzusetzen.
Schon im September 2020 monierte ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin:
Trotz des Konfliktes um die Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny erwägt die Bundesregierung, ein neues Energieprojekt in Russland zu fördern. Nach Informationen des Magazins soll die deutsche Exportkreditagentur Euler Hermes womöglich die Finanzierung des riesigen Flüssiggas-Vorhabens Arctic LNG 2 in Sibirien mitabsichern. Das geht aus einem Dokument der französischen Exportkreditagentur Bpifrance hervor. Demnach ist der Dax-Konzern Linde als Technologielieferant an diesem 21 Milliarden Dollar teuren Vorhaben beteiligt.
Es ist bezeichnend, dass sich neben der US-Regierung, die sich wegen der Nord Stream schon damals grosse “Sorgen” machte, deutsche Medien an potentiellen Exportaufträgen deutscher Konzerne gleichermassen stiessen.
Mehr als zwei Jahre nachdem Novatek und seine Partner die endgültige Investitionsentscheidung für das Arctic LNG 2-Terminal getroffen hatten, wurde im November 2021 ein Finanzierungspaket in Höhe von 9,5 Milliarden Euro (10,7 Milliarden US-Dollar) verabschiedet. Der größte Teil der 15-jährigen Projektfinanzierung über 4,5 Mrd. EUR wurde von einem Konsortium der größten russischen Geschäftsbanken bereitgestellt: Sberbank, Gazprombank, VEB Bank und FK Otkrytiye Bank. Weitere 2,5 Mrd. € wurden von der China Development Bank und der Export-Import Bank of China übernommen. Die Japanische Bank für Internationale Zusammenarbeit, die italienische SACE und mehrere nicht näher bezeichnete andere Investoren waren an den verbleibenden 2,5 Mrd. EUR beteiligt.
Reuters berichtete über Aussagen des italienischen Botschafters in Russland, dass die italienische Exportkreditagentur SACE Versicherungsschutz zur Finanzierung durch die italienische Bank Intesa Sanpaolo und den staatlichen Kreditgeber Cassa Depositi e Prestiti gewähren würde.
Französische “Nicht-Regierungsorganisationen” begrüßten hingegen die endgültige Nichtbeteiligung von Bpifrance an dem Projekt. Anna-Lena Rebaud von Friends of the Earth France bemerkte:
Frankreichs Rückzug aus einem solchen Projekt ist ein starkes Signal. Emmanuel Macron erkennt damit indirekt an, dass die Fortsetzung der Gasförderung sowohl für das Klima wie auch die Artenvielfalt problematisch sei.
Im Mai 2021 – wohlgemerkt nicht ganz ein Jahr vor der Eskalation in der Ukraine – schrieben 39 Mitglieder des Europäischen Parlaments aus den Fraktionen der Linken, Grünen, Sozialdemokraten sowie von Renew Europe an die französische, deutsche und italienische Regierung und forderten diese auf, die staatliche Unterstützung für das 21 Milliarden US-Dollar Projekt Arctic LNG 2 einzustellen:
Wir fordern die französische, deutsche und italienische Regierung auf, die Unterstützung für dieses Projekt zu verweigern und einen neuen Standard zu setzen, um alle Exportfinanzierungen für fossile Brennstoffe vor der COP26 [UN Klimagipfel in Glasgow 2021] zu beenden…
Die französische Bpifrance, die deutsche Euler Hermes und die italienische SACE – die jeweiligen Exportkreditagenturen jener Länder – sollten zu den staatlich unterstützten internationalen Kreditgebern zählen, um sich am Projekt mit etwa 9,5 Milliarden US-Dollar zu beteiligen.
Nach der Intervention der europäischen Parlamentarier bestätigte jedoch ein Sprecher des französischen Außenministeriums gegenüber Journalisten, dass Arctic LNG 2 von Bpifrance geprüft werde, indem er erklärte, dass…
… die endgültige Position Frankreichs insbesondere im Licht der Sozial- und Umweltverträglichkeitsprüfung des Projekts festgelegt werden wird.
Im September 2021 – lange vor dem 22. Februar 2022 – teilte der Vorstandsvorsitzende von Novatek, Leonid Mikhelson, der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass die französische Exportkreditagentur (EKA) Bpifrance das Projekt Arctic LNG 2 nun nicht mehr finanziell unterstützen werde. Mikhelson schien auch Zweifel an der erhofften Beteiligung der Exportkreditagenturen Deutschlands und Italiens zu haben, indem er sagte:
Wir haben (europäische) Partner, aber wir sehen keine Unterstützung von den Regierungen dieser Länder.
Er kündigte an, dass die Finanzierung durch russische Banken, die ursprünglich ein Drittel der gesamten 11 Mrd. USD-Finanzierung hätten abdecken sollen, auf 60 % des Gesamtbetrags zu erhöhen, während chinesische und japanische Banken den Rest der Finanzierung übernehmen würden.
Schlussfolgerungen
Der Wirtschaftskrieg des kollektiven Westens gegen Russland und unabhängige Länder des „Globalen Südens“ hat mit dem Ukraine-Konflikt nur wenig zu tun. Denn, dieser Wirtschafts-Krieg war schon weit vor dem Jahr 2022 ausgebrochen: Man fabrizierte zu diesem Zeitpunkt schon Einwände und Ausreden, die alle auf dasselbe Ergebnis hinausliefen: Nämlich den Handel mit Russland immer weiter zu unterbinden.
Vor dem 22. Februar 2022 waren es „Umweltschutz“ oder das „Schicksal von CIA-Mitarbeitern“, die als Ausreden herhalten mussten. Nach dem 22. Februar 2022 war es der Ukraine-Konflikt, nachdem Russland nicht mehr bereit war, noch länger hinzunehmen, wie der kollektive Westen die russische Bevölkerung im Donbass abschlachten ließ.
Hätte Russland im Donbass nicht eingegriffen, hätte der kollektive Westen zu anderen Ausreden gegriffen, um gegen Russland die von langer Hand geplanten Handelsrestriktionen am Ende ganz durchzusetzen. Wir erinnern uns, dass Präsident Donald Trump, weit vor dem Ukraine-Krieg, Firmen, die an Nord Stream beteiligt waren, massiv unter Druck gesetz hat, das Projekt zu stoppen.
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