Ganze 90 Jahre behütete der Adler seinen Horst – jetzt soll er abfliegen. Für unsere Kinder könnte er nämlich „gefährlich“ sein. Denn er ist – erraten: ein Nazi.
Von KROKO | Pech für Schuldneurotiker und hauptberufliche Vergangenheitsbewältiger, dass der Adler, der nun schon seit 90 Jahren auf einem Kinderspielplatz Spandauer Ortsteil Haselhorst in Berlin niemals ein Hakenkreuz in seinen Krallen hielt, sondern stattdessen seine Jungen mit gewaltigen Schwingen beschützt.
Aber irgendwie passt er doch nicht in die heutige Zeit, denn er erfüllt nicht den volkspädagogischen Erziehungsauftrag, wo Kunstwerke grundsätzlich hässlich und abstoßend wirken sollen. Das grausliche soll den Charakter prägen, Perverses ist gefragt.
Was tun also mit der Adler-Skulptur, an der offensichtlich 90 Jahre niemand Anstoß fand. Da müssen Fachleute her, die hier schon irgendwas finden könnten, wie etwa die „Erinnerungsbeauftragte“ (bitte die Bezeichnung ist echt, kein Aprilscherz heute am 1.04.) der evangelischen Kirche, Gudrun O’Daniel-Elmen. Und die Dame wurde in der Tat fündig:
„Nachdem ich mir die Skulptur angesehen hatte, war ich entsetzt, dass dieses martialische Nazi-Machwerk bis heute einen Spielplatz inmitten einer Wohnsiedlung, ziert’“, so die Erinnerungsbeauftragte.
Ein „Martialisches Nazimachwerk“ wohl deshalb, weil die Skulptur 1935 aufgestellt wurde und der Künstler Max Esser (1885-1945) die letzten Lebensjahre Jahre zwangsläufig im 3. Reich verbrachte und dass seine Kunstwerke damals und zuvor eben gut ankamen. Was tun also?
„Wissenschaftlich fundierte Untersuchung“ soll klären
Ja, ist der Adler jetzt ein Nazi oder nicht? Sind seine Jungen etwa Vogel-Pimpfe aus denen dann weitere Nazis werden könnten? Soll eine „Erklär-Tafel“ an der Skulptur angebracht werden, wie es die Grünen fordern oder soll die Skulptur in die Zitadelle Spandau umziehen? Dort würden nämlich „andere umstrittene Kunstwerke historisch eingeordnet und kritisch ausgestellt“. Nazis unter sich, sozusagen. Oder sollte man es mit Mathias Unger halten, der anregt: „Da es bislang keine gesicherten Erkenntnisse über die tatsächliche Bedeutung des Denkmals gibt, sollte zunächst eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung erfolgen“. Oder mit Arndt Meßner, dem Chef der CDU-Fraktion im Bezirksparlament, der meint „Im Zweifel soll man das Kunstwerk erklären, doch ein Abbau wäre maßlos übertrieben.“
Nicht „maßlos übertrieben“ wäre es wohl, die Spinner, die am Vorabend eines dritten Weltkrieges in dem bronzenen Federvieh eine Gefahr für Kinder erblicken, von fachkundigen Psychotherapeuten untersuchen und gegebenenfalls behandeln zu lassen.
Wer war der Künstler:
Max Esser war als Tierbildhauer und Gestalter von Porzellanfiguren bekannt. Er besuchte von 1900 bis 1903 die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums und die Kunstakademie in Berlin. Schon bald arbeitete für die berühmte Meißner Porzellanmanufaktur, für Hutschenreuther, die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin und Rosenthal. Auf der Weltfachausstellung Paris 1937 wurde seine Fischotter-Plastik mit einem Grand Prix ausgezeichnet, so bild.de und bz-berlin.de über den Künstler.
Sein und des Adlers Pech aus heutiger Sicht: Esser stand 1944 auf der Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten bildenden Künstler der Nazis. Gut möglich also, dass auch Essers Rennfahrer-Skulptur demnächst Gegenstand einer „wissenschaftlich fundierten Untersuchung“ wird. Denn theoretisch könnten die beiden Rennfahrer im Gegensatz zum Adler tatsächlich Nazis gewesen sein und somit heute noch eine ernste Gefahr für „unsere Demokratie“ darstellen.
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