Von Pierre Lévy

Der Zufall wollte es, dass die Wähler in zwei Ländern, die zu Zeiten der UdSSR Sowjetrepubliken waren, nur wenige Tage voneinander entfernt an die Urnen gerufen wurden. Sowohl Georgien als auch Moldawien sind zwei Staaten, die die europäischen Führer an die EU „ankoppeln“ wollen.

Beide Wahlen haben gemeinsam, dass sie eine kalte Dusche für Brüssel waren: Dort rechnete man mit einem Plebiszit für die europäische Integration, und beschuldigte dann Moskau, aus der Ferne massiven Wahlbetrug inszeniert zu haben, da diese Hoffnung sich nicht erfüllte.

Die georgischen Bürger, die am 26. Oktober zur Wahl gingen, gaben ihre Stimme laut der nationalen Wahlkommission zu 54 Prozent der Partei Georgischer Traum, der Hauptstütze der scheidenden Regierung. Diese Bewegung war 2012 von Bidzina Iwanischwili gegründet worden, einem reichen Oligarchen, der sein Vermögen in Russland erworben hatte und dem vorgeworfen wird, weiterhin die Fäden der Macht in der Hand zu halten. Offiziell spricht sich Georgischer Traum für den Beitritt des Landes zur Europäischen Union aus. Der scheidende Premierminister betonte kurz nach der Bekanntgabe seines Wahlsiegs, dass dies weiterhin eine seiner außenpolitischen Prioritäten sei.

Er wird aber von der Opposition beschuldigt, diese Perspektive zu sabotieren und in Wirklichkeit Moskau in die Hände zu spielen. Insbesondere seit der Verabschiedung eines Gesetzes im Mai, das NGOs und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel von externen „Wohltätern“ erhalten, dazu verpflichtet, sich als ausländische Agenten zu deklarieren. Diese Bestimmung wurde von prowestlichen Kräften als ein von der russischen Gesetzgebung inspirierter Angriff auf die Demokratie angesehen.

Die Annahme dieses Textes (der jedoch in vielen westlichen Ländern seine Entsprechung hat) empörte Brüssel, das zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft, die „europäische Werte“ fördern, subventioniert. Als Reaktion darauf setzte der Europäische Rat im Juni den Status Georgiens als Kandidatenland aus, den es sechs Monate zuvor erhalten hatte.

Die Einführung eines Gesetzes, das „LGBT-Propaganda“ verbietet, sorgte für weiteren Unmut in Brüssel, das unter diesen Umständen keinen Hehl aus seiner Unterstützung für die Koalition der vier Oppositionsparteien machte. Diese Koalition erreichte bei der Wahl 37,6 Prozent der Stimmen. In der Hauptstadt, wo die wohlhabenden und intellektuellen Schichten dominieren, stieg dieser Anteil auf 44 Prozent. In den Provinzen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, die von traditionellen Werten geprägt sind, war er jedoch viel niedriger.

Obwohl die Ergebnisse vom 26. Oktober den Vorwahlumfragen entsprachen, prangerten die Oppositionsparteien sofort „massiven Betrug“ an, kündigten an, dass sie sich nicht am neuen Parlament beteiligen würden, und riefen zu Demonstrationen in der Hauptstadt auf. Am 28. Oktober sprach die Präsidentin der Republik, Salome Surabischwili, die hauptsächlich eine protokollarische Rolle ausübt, sich aber für die Vereinigung der Opposition eingesetzt hatte, vor der Menge der Protestierenden. Sie flehte die Europäische Union an, die Machthaber zur Durchführung von Neuwahlen zu zwingen.

Die OSZE-Beobachter, die in zahlreichen Wahllokalen anwesend waren, wiesen zwar auf „zahlreiche Unregelmäßigkeiten“ hin – insbesondere auf Druck auf die Wähler –, sie stellten das Wahlergebnis aber nicht in Frage. Insbesondere die Vorwürfe des Stimmenkaufs konnten nicht bewiesen werden. Die nationale Wahlkommission ordnete ihrerseits eine teilweise Neuauszählung (in 14 Prozent der Wahllokalen) an, um die Korrektheit der Wahl zu beweisen (diese hat sowohl mit Wahlmaschinen als auch mit traditionellen Stimmzetteln stattgefunden).

Richtig ist jedoch, dass Georgischer Traum über größere Propagandamittel verfügte als seine Gegner. Insbesondere entwickelte er die Idee, dass ein Sieg der pro-westlichen Opposition das Land in einen Krieg gegen Russland nach ukrainischem Vorbild führen könnte. Viele Wähler waren dafür empfänglich und setzten lieber auf die von Herrn Iwanischwilis Freunden gemachten Versprechungen eines friedlichen Wohlstands.

Der andere Rückschlag für Brüssel ereignete sich am 20. Oktober in Moldawien. Die bisherige Präsidentin Maia Sandu, die von der Europäischen Union massiv unterstützt wurde, hatte gehofft, bereits im ersten Wahlgang wiedergewählt zu werden. Sie erhielt aber schließlich nur 42 Prozent der Stimmen (bei einer Wahlbeteiligung von 51,7 Prozent), was eine unbestreitbare Niederlage darstellte. Sie hofft nun, in dem für den 3. November angesetzten zweiten Wahlgang zu gewinnen. Das Ergebnis wird aber wahrscheinlich knapp ausfallen, da Alexander Stoianoglo, ein Oppositionspolitiker, 26,3 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte. Und er dürfte von den Stimmen aller anderen Kandidaten profitieren, die wie er von Brüssel als „pro-russisch“ bezeichnet werden.

Um zu versuchen, ihre Wiederwahl zu sichern, hatte die Staatschefin am selben Tag außerdem ein (konsultatives) Referendum über die Verankerung der Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft in der Verfassung organisiert. Der „europäische Traum“ sollte eine massive Beteiligung und ein Plebiszit zu ihren Gunsten sicherstellen.

Dies war jedoch nicht der Fall: Die Ja-Stimmen gewannen mit 50,3 Prozent nur um Haaresbreite, was in einem Land mit 2,7 Millionen Einwohnern einem Unterschied von 10.000 Stimmen entspricht. Während der gesamten Nacht der Auszählung sah es sogar so aus, als würde das Nein die Nase vorn haben (obwohl die Opposition dazu aufrief, sich in dieser Frage zu enthalten). Offiziell hat die Stimmabgabe von Moldawiern im Ausland diesen erstaunlichen Aufschwung ermöglicht.

Doch der Schaden war angerichtet. Unter dem Deckmantel der Anonymität meinte ein führender EU-Politiker, dass ein so knapper Sieg der Ja-Stimmen „ein schlechtes Signal für die pro-europäische Entschlossenheit der Bevölkerung“ sei. Frau Sandu sprach derweil von einer „schmutzigen Einmischung“ seitens Moskaus. Doch der Faktor des „Stimmenkaufs“, den sie zu beweisen versprach, scheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht signifikant zu sein.

Andere Faktoren, insbesondere soziale, dürften eine realere Rolle bei dem Misserfolg der Präsidentin gespielt haben. Der Bruch mit Russland, der von ihrer Regierung gewollt war, die sich gemäß der von Brüssel vorgegebenen Linie auf die Seite der Ukraine stellte, führte ab 2022 zu einem Inflationsschock. Das Land, das zu den ärmsten in Europa gehört, musste seine Energie von der westlichen Seite beziehen, anstelle von russischem Gas. Die Gaspreise stiegen um das Siebenfache, die Strompreise um das Vierfache.

Was auf jeden Fall bei beiden Wahlen auffällt, ist der Kontrast zwischen der Einflussnahme in die inneren Angelegenheiten dieser Länder, derer Moskau vonseiten der europäischen Führer beschuldigt wird, und der offen praktizierten Einmischung, die diese ohne Komplexe in diesen Ländern selbst ausüben.

Im Falle Georgiens zögerte Frau Surabischwili (die, bevor sie Präsidentin dieses Staates wurde, französische Botschafterin in Tbilissi war…) nicht, die Europäische Union aufzufordern, sich der nationalen Regierung zu widersetzen:

„Alle Druckmittel müssen gegen diese Regierung ausgeübt werden, die keine der Empfehlungen der EU berücksichtigt (und) gegen diese Empfehlungen verstoßen hat.“

Und weiter:

„Es liegt an unseren europäischen und amerikanischen Partnern, die Demokratie im Land zu unterstützen.“

Schon am Wahlabend hatte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, seinerseits „den Appell der EU an die georgische Führung wiederholt, ein starkes Engagement für den EU-Weg des Landes im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juni und Oktober zu zeigen.“

Der lettische Präsident setzte noch einen drauf:

„Das georgische Volk hat einen europäischen Traum, niemand hat das Recht, diesen Traum zu stehlen.“

Und eine gemeinsame Erklärung einiger Europaabgeordneter mit kanadischen (!) Parlamentariern bestätigte den Aufruf zur Einmischung:

„Wir dürfen die pro-europäischen Teile der Gesellschaft nicht im Stich lassen.“

Das westliche Bestreben, Tbilissi seinen Willen zu diktieren, hatte sich schon Anfang Oktober gezeigt, als die Brüsseler Vertretung im Land bestätigte, dass Georgien aufgrund der Verabschiedung des Gesetzes über „ausländische Agenten“ 121 Millionen Euro an EU-Hilfen verlieren würde.

Für Moldawien ist die Einmischung dagegen eher mit Zuckerbrot als mit Peitsche verbunden, da dort die Macht von einer treuen Anhängerin Brüssels gehalten wird. Diese hat vor dem zweiten Wahlgang eilige Solidaritätsbotschaften erhalten. Damit die moldawischen Wähler die richtige Wahl treffen, bezeichnete der polnische Premierminister Maia Sandu als „große Führerin einer mutigen Nation“, während die Präsidentin der Europäischen Kommission ausrief:

„Angesichts der hybriden Strategien Russlands zeigt Moldawien, dass es unabhängig ist, dass es stark ist und dass es eine europäische Zukunft will.“

Emmanuel Macron fügte seinerseits hinzu, dass „Moldawien auf unsere Unterstützung zählen kann, um sein europäisches Schicksal zu erfüllen.“

Und auch Uncle Sam durfte in Sachen Einmischung nicht fehlen: „Die Demokratie in Moldawien ist stark, ebenso wie der Wille des moldawischen Volkes, Fortschritte in Richtung europäische Integration zu machen“, sagte John Kirby, Sprecher des US-Sicherheitsrates.

Diese schönen Worte werden von wohlklingenden Versprechungen begleitet. Um die moldawischen Wähler zu ködern, reiste Ursula von der Leyen am 10. Oktober persönlich in die moldawische Hauptstadt Chișinău, um einen Rekord-Investitionsplan in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für den Zeitraum 2025–2027 anzukündigen. Frau Sandu freute sich über diesen „Marshallplan“, der die Renovierung von Schulen, den Bau von Krankenhäusern, neue Straßen und Brücken usw. in Aussicht stellt.

Dies führte zu folgendem Kommentar der (EU-freundlichen) französischen Wirtschaftszeitung Les Echos:

„Die Europäische Union und mehrere führende Politiker der EU sind der moldawischen Präsidentin demonstrativ zu Hilfe gekommen.“

Denn natürlich hat es jeder verstanden: Die Geldschwemme wird nur gewährt, wenn sich die Wähler für den „europäischen Weg“ entscheiden… Drei Monate zuvor war auch die EU-Gesundheitskommissarin in die gleiche Stadt gereist, um die Vorzüge der EU zu preisen.

Handelt es sich hierbei nicht um Stimmenkauf in einem Ausmaß, das in keinem Verhältnis zu den wenigen tausend Stimmzetteln steht, die sich die sogenannten pro-russischen Kräfte angeblich eingehandelt haben? Man kann sich den Aufschrei in Brüssel vorstellen, wenn russische führende Politiker nacheinander in Chișinău oder Tbilissi erschienen wären, um vor Ort ihre vermeintlichen Pferdchen zu verteidigen und vor den Wahlterminen einen Rubelregen zu versprechen…

Nach den Demonstrationen in Georgien und der zweiten Runde in Moldawien wird die nächste Etappe in Budapest sein. In der ungarischen Hauptstadt findet am 7. November ein Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (alle Länder außer Russland und Weißrussland) und am 8. November eine Tagung des Europäischen Rates statt.

Aber Premierminister Viktor Orbán, der bereits beschuldigt wurde, für Moskau zu arbeiten, stellte sich gegen alle seine EU-Kollegen, indem er nach Tbilissi reiste, um den „überwältigenden Sieg“ des Georgischen Traums zu begrüßen.

Am Ufer der Donau wird die Stimmung vielleicht nicht ganz so freundlich sein.

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